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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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gewöhnt. Männer mit behaarter Brust, die ihn in seiner Wut bestärkten, die fluchten und ihn bei seinen groben Äußerungen anfeuerten. Bei ihnen fühlte er sich sicher und als ganzer Mann. Fernando Álvarez hingegen schüchterte ihn ein; bei ihm kam er sich dumm, ungebildet und lächerlich vor.
    »Erscheint es dir nicht erhabener und erfüllender?«, fragte der »Alte Weise« noch einmal, ein wenig beunruhigt über das lange Schweigen.
    Und Cristóbal nickte zustimmend, ohne vom Boden aufzusehen.
    ***
    JULIA HATTE EINE SCHLAFLOSE NACHT hinter sich. Obwohl Karwoche war und die meisten jungen Leute bis spät in die Nacht auf den Straßen unterwegs waren, um hinter Christusstatuen und schmerzensreichen Madonnen herzuziehen, war es nicht die Art ihres Sohnes, die Nacht zum Tag zu machen. Gegen fünf Uhr morgens war sie so oft durch den Flur gelaufen, um in Abels Zimmer nachzuschauen, ob er mittlerweile zu Hause war, dass sie völlig verzweifelt war. Nachdem sie immer wieder vom Fenster auf die dunkle Straße gespäht hatte, ließen ihre Augen sie allmählich im Stich, und die furchtbarsten Gedanken überkamen sie. Sie erinnerte sich in allen Einzelheiten an den Moment, als sie gekommen waren, um sie über Leóns Tod in Kenntnis zu setzen.
    Als sie die Unruhe nicht länger ertrug, klopfte sie an Mamita Lulas Tür und stellte fest, dass auch die schwarze Dienerin wach war. Vollständig angezogen, ein Tuch um die Schultern, saß sie da und betete den Rosenkranz. Die beiden Frauen bedauerten, dass es kein normaler Arbeitstag war; sonst hätten sie die Angestellten der Druckerei, wenn diese frühmorgens kamen, auf die Suche nach Abel losschicken können.
    »Stellen wir ein paar Kerzen vor dem heiligen Antonius auf, dem Schutzpatron der verlorenen Gegenstände«, schlug Mamita Lula vor. »Und wir könnten uns einen Tee machen.«
    »Wenn er in einer Stunde nicht da ist, benachrichtigen wir die Stadtbüttel«, beschloss Julia.
    Nach einer Stunde war nichts geschehen, und so riefen sie die Stadtbüttel. Diese kamen mit unzähligen Fragen und gezückten Knüppeln, verdreckten den Marmorboden im Patio mit ihren schmutzigen Stiefeln und erschreckten Turca, die hinter einer Säule stand und sie anbellte wie eine Verrückte. Aber als die Frauen ihnen erklärten, dass der verschwundene »Junge« achtzehn Jahre alt war, lachten sie ihnen ins Gesicht und beruhigten sie damit, dass sie ihn an Ostersonntag heil zurück hätten. Dann verschwanden sie, wie sie gekommen waren, nicht ohne sich unverhohlen über die Frauen lustig zu machen.
    Doch diese waren keinesfalls beruhigt, und Julia beschloss, ein Dienstmädchen zu Monsieur Verdoux zu schicken. Vielleicht konnte er ihnen helfen. Der Franzose erschien wie üblich mit Spitzenjabot und auf seinen eleganten Stock mit dem Silberknauf gestützt. Als er sah, dass Mamita Lula einer Ohnmacht nahe war, zog er unverzüglich ein Fläschchen mit Riechsalz aus der Tasche seines Jacketts.
    »Abel ist verschwunden, sagen Sie? Und niemand weiß, wo er ist?«, fragte der Lehrer besorgt, während er der Haushälterin Luft zufächelte.
    »Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen«, erklärte ihm Julia. »Das hat er noch nie gemacht. Noch nie!«
    »Hoffen wir, dass er nicht auf einem Schiff angeheuert hat, um gegen die Araukaner zu kämpfen«, scherzte er, um der Angelegenheit die Bedeutung zu nehmen.
    »Sagen Sie nicht so etwas! Mein Gott!« Mamita Lula, die sich allmählich von ihrem Schwächeanfall erholte, bekreuzigte sich. »Wer sind die Araukaner?«
    Just in diesem Augenblick trat Abel durch die Tür der Druckerei. Er trug das weiße Büßergewand der Bruderschaft Soledad de San Lorenzo mit der schwarzen Kapuze und dem aufgestickten achtendigen Kreuz auf der Brust. Bruder Dámaso hatte ihm geraten, zumindest die Nacht in der Komturei San Juan de Acre zu verbringen, falls der geheimnisvolle Büßer noch immer auf ihn wartete. Er hatte ihn überredet, die Kutte der benachbarten Bruderschaft überzustreifen, die an diesem Morgen ihre Prozession hatte.
    »So bleibst du unbemerkt«, hatte der Prior gesagt, während er ihm die Kapuze zurechtrückte. Er hatte immer noch enttäuscht ausgesehen.
    »Es tut mir leid«, hatte Abel gemurmelt. »Es tut mir leid, dass ich nicht der bin, den Sie sich erhofft haben. Es tut mir leid, dass ich nicht den Mut und die Tatkraft meines Vaters geerbt habe. Aber solange nicht das Gegenteil erwiesen ist, haben wir nur ein Leben … Und das will ich behalten.«
    »Ich

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