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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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wünsche dir, dass du glücklich wirst«, waren Bruder Dámasos Abschiedsworte gewesen, überzeugt, dass er den Jungen nie wiedersehen würde.
    Als Abel die Kapuze abnahm, überhäuften ihn die beiden Frauen mit Umarmungen und Freudenrufen. Doch als der erste Jubel vorüber war, machte Julia ihm Vorhaltungen, wie unmöglich, verantwortungslos und respektlos er sich benommen habe. Sie werde allmählich älter und könne das Geschäft nicht allein führen. Daher erwarte sie ein wenig Unterstützung und Einsatz von ihrem Sohn.
    »Ich bin wirklich zu bedauern. Eine zweifache Witwe, die sich Tag und Nacht bucklig schuftet, während andere Frauen von ihren Männern versorgt werden, ohne je einen Finger zu rühren.«
    Nach diesem Satz brach sie in bittere Tränen aus, so sehr traf sie diese Beschreibung ihres Lebens, das aus einem der Rührstücke zu stammen schien, die in ihrer Druckerei verkauft wurden. Doch gleich darauf fasste sie sich wieder. Mit Widerwillen stellte sie fest, dass sie die Kunst der Manipulation von ihrer Mutter geerbt hatte. Und das gefiel ihr nicht. Sie wusste, dass es bei Abel nicht fruchten würde, die hilflose Frau zu spielen, die auf ihren Sohn angewiesen war, um das Geschäft in Gang zu halten.
    »Sag mir wenigstens, was du die ganze Nacht getrieben hast. Woher hast du diese Kutte?«, fragte sie, nun schon ruhiger.
    »Das ist eine lange Geschichte, Mama. Nicht wahr, Monsieur Verdoux?«, sagte der Junge und sah den Lehrer verschwörerisch an.
    Der Franzose schien für einen Moment seine elegante Haltung zu verlieren. Doch bevor er den Mund aufmachen konnte, um zu antworten, erschien Cristóbal Zapata. Er trat mit gesenktem Kopf in den Patio und grüßte wortkarg.
    »Ich muss mit Ihnen sprechen, Señora«, sagte er zu Julia. »Es ist wichtig.«
    »Natürlich, Cristóbal. Gehen wir in den Salon.«
    Sie lud ihn mit einer Handbewegung ein, voranzugehen, doch der Druckermeister weigerte sich, vor einer Dame einen Raum zu betreten. Nachdem beide eingetreten waren, wartete er geduldig, bis sie ihn aufforderte, Platz zu nehmen.
    »Was ist denn los?«, erkundigte sie sich.
    »Ich …«, stotterte er, »… ich hatte einen Streit mit meinen Schwiegereltern.«
    Fernando Álvarez hatte mit ihm einstudiert, was er sagen sollte, um Doña Julia zu rühren, ihr Herz zu erweichen und so ihrer beider Plan voranzutreiben. Er hatte auf dem ganzen Weg jedes einzelne Wort wiederholt, die Satzmelodie und die betrübte Miene, doch nun, da er ihr gegenübersaß, wusste er nicht mehr, wie er anfangen sollte.
    »Sie sehen so nervös aus. Ist etwas? Möchten Sie ein bisschen Wasser? Einen Kaffee?«
    Stockend begann Cristóbal Zapata, seine bedauerliche Lage zu schildern. Sein Schwiegervater habe ihn einfach so aus dem Haus geworfen, obwohl er nichts Schlimmes getan habe. Während er erzählte, sah er beschämt und bekümmert zu Boden. Nun wisse er nicht, wohin, und wolle fragen, ob sie bereit sei, ihm den großen Gefallen zu tun und ihm das leere Zimmer im Souterrain zu vermieten.
    »Aber sind die Probleme mit Ihrem Schwiegervater so schlimm? Vielleicht kann ich mit ihm reden, vermitteln …«
    »Nein!«, rief Cristóbal und sprang auf. »Das möchte ich lieber nicht. Die Wahrheit ist, dass ich mich im Haus meiner Schwiegereltern schon lange nicht mehr wohlfühle.« Er senkte erneut den Blick, um seine Schuhspitzen zu betrachten. »Wenn Sie mir das Zimmer im Souterrain nicht vermieten wollen, kann ich das verstehen. Vielleicht finde ich etwas hier in der Nähe …«
    ***
    JULIA HATTE MITLEID MIT IHM. In gewisser Weise fühlte sie sich für das Unglück dieses Mannes verantwortlich. Ein nahezu mütterlicher Instinkt zwang sie, für sein Wohlergehen zu sorgen. Er wirkte immer so einsam, so unglücklich, so voller Wut auf die ganze Welt … Er arbeitete schon sein halbes Leben in der Druckerei in diesem Haus und setzte sich ebenso für das Geschäft ein wie sie selbst. Sie konnte nicht zulassen, dass er nun, da er älter wurde, in irgendeiner heruntergekommenen Absteige hauste. Ohne lange nachzudenken willigte sie ein, dass er das Zimmer im Souterrain bezog. Jenes Zimmer, in dem vor vielen Jahren León gewohnt hatte.
    »Ich möchte keine Miete von Ihnen, Cristóbal«, sagte sie zu ihm. »Sie gehören schließlich fast zur Familie.«
    Zum ersten Mal an diesem ganzen Tag war der Druckermeister ein wenig erleichtert. Fast zur Familie zu gehören war beinahe, wie ganz zur Familie zu gehören. Näher war er Doña Julia noch nie

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