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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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standen den Angestellten der Druckerei im Weg, wenn diese Arbeitsmaterial aus dem Keller holten. Außerdem wurde es empfindlich kalt, und es musste eine Plane über den offenen Patio gespannt werden. Da die Temperaturen trotzdem eisig waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Gespräche vor den Kamin im Salon des Hauses zu verlegen. Binnen kurzem stand der kleine Raum voller Zigarrenrauch. Selbst wenn man die Fenster aufriss, blieb der Geruch in Wänden, Vorhängen und Sesselbezügen hängen, bis Julia entsetzt feststellte, dass das Porträtgemälde von ihr und Turca zu vergilben begann.
    Sie sprach ein striktes Rauchverbot im Haus aus, doch das war den Intellektuellen nicht recht, die regelmäßigen ausgiebigen Tabakgenuss für eine unabdingbare Voraussetzung hielten, um ihre Gedanken in Fluss zu bringen. Es nützte nichts, dass Monsieur Verdoux ihnen erklärte, es sei eine ausgemachte Dummheit, Geld dafür auszugeben, den Rauch getrockneter Blätter zu inhalieren.
    Der Pfarrer Manuel María Arjona schlug vor, die Gespräche in die Villa des Marquis de Gandul zu verlegen, denn dort gebe es nicht nur riesige Räume, in denen man sich treffen könne, ohne einander auf die Füße zu treten und anstehen zu müssen, um einen Sitzplatz zu ergattern. Man dürfe auch rauchen, und das Personal sei höflich und zuvorkommend, nicht wie diese schwarze Dienerin, die einen so verschlagen ansehe – angeblich habe sie eine mit Nadeln gespickte Voodoopuppe, mit der sie Leuten, die sie nicht mochte, Bauchschmerzen anhexe …
    Außerdem habe der Marquis de Gandul einen riesigen Garten mit Springbrunnen, hohen Palmen, Oleanderbüschen und bunten Vögeln, die ihnen im Frühjahr und Sommer die gefürchteten Bienenschwärme vom Hals halten würden.
    Doña Julia traf es schwer, dass die Treue ihrer Gäste davon abhing, ob man im Salon ihres Hauses rauchen durfte oder nicht. Sie sprach nicht mehr mit dem Pfarrer, weil dieser die Idee gehabt hatte, den Ort der Zusammenkunft zu verlagern. Aus Wut weigerte sie sich, weiterhin an dem Treffen teilzunehmen.
    Sie musste sich allerdings damit abfinden, dass Monsieur Verdoux und ihr eigener Sohn nach wie vor zu den Versammlungen gingen, ohne sich um ihr Missfallen zu kümmern. Manchmal war auch Bruder Dámaso mit von der Partie. Bei diesen Gelegenheiten begab sich der Franzose auf die unergründlichen Wege der Theologie, indem er zum Beispiel zur Diskussion stellte, ob es besser sei, auf die Ratio zu setzen statt auf die Religion. In seinen Augen war der Mensch dazu verpflichtet, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen, anstatt darauf zu warten, dass Gott seine Probleme löste.
    »Was Sie da vorschlagen, Monsieur Verdoux«, tadelte ihn einer der Gäste, »riecht verdächtig nach Atheismus.«
    »Mitnichten, mein Herr«, entgegnete dieser unerschütterlich. »Ich glaube an Gott. Ich bin ein überzeugter Theist. Hingegen beobachte ich mit Argwohn, wie wir Menschen sein Wort auslegen. Die vom Menschen manipulierte Religion ist es, der ich misstraue. Verzeiht, wenn ich mit dieser Aussage Eure Missbilligung errege«, sagte er, an den Prior gewandt, denn er rechnete damit, dass diese Bemerkung eine Debatte zwischen ihnen auslöste. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich unser Schöpfer um unser tägliches Allerlei schert. Nicht so bequem, meine Herren! Wir sollten uns der Wissenschaft bedienen, um unser armseliges Dasein zu verbessern, und nicht um Gottes Hilfe bitten.«
    »Ist Ihnen denn nicht bewusst, dass die Wissenschaft nicht in der Lage ist, Antworten auf die grundlegenden Fragen zu geben, die den Menschen umtreiben?«, entgegnete Bruder Dámaso. »Was ist der Sinn des Lebens? Wofür lohnt es sich zu leben? Was ist unsere Aufgabe auf Erden?«
    »Und Sie behaupten, dass die Religion Antworten auf diese Fragen gibt?«, gab Monsieur Verdoux zurück. »Das Einzige, was uns die Religion rät, ist, auf den Glauben zu vertrauen. Alles beruht auf dem Glauben! Die Ratio versucht zumindest, Lösungen zu finden und aus Fehlern zu lernen. Religion ist reine Bevormundung und Anmaßung. Es ist, als würde jemand sagen, er habe die Antwort auf alle Fragen.«
    Und so lieferten sich die beiden einen stundenlangen Schlagabtausch, ohne dass ihr Eifer nachließ. Die übrigen Gäste begannen sich zu langweilen, weil sie nicht zu Wort kamen.
    Die Meinungsverschiedenheiten erreichten einen kritischen Punkt, wenn Monsieur Verdoux die Geduld verlor. Abel fragte sich, warum sich der Franzose seit Jahren für

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