Der Turm der Könige
eine Truhe stand, doch alles, was sie fand, war eine mottenzerfressene Filzpuppe, die von Nadeln durchbohrt war.
»Es stimmte also …«, flüsterte sie und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Weil sie nicht wollte, dass eine solche Bagatelle das Andenken an Mamita Lula beschmutzte, versteckte sie das Püppchen in ihrem eigenen Kleiderschrank. Sie fand sich damit ab, dass sie im Haus kein passendes Kleid finden würde, in dem ihre Haushälterin in die Ewigkeit übertreten konnte. Also beschloss sie, eine Spitzenmantille für sie zu kaufen, Seidenhandschuhe sowie eine weite, bequeme Tunika in ihrer Lieblingsfarbe Lila. Darunter zog sie ihr den schwarzen Unterrock an, den sie nur bei besonderen Gelegenheiten getragen hatte und der so oft gestärkt worden war, dass Julia vermutete, er könne von alleine stehen. Als sie fertig war, gab sie Mamita Lula einen Strauß gelbe Margeriten in die Hand. Die schwarze Dienerin hatte immer davon gesprochen, dass sie der Muttergottes einen Blumenstrauß überreichen wolle, wenn sie vor der Himmelspforte stehe. In die andere Hand legte sie ihr einen Fächer aus Schildpatt, weil sie ein hitziges Temperament gehabt hatte.
Die Totenwache fand im Patio der Druckerei statt. Das Haus füllte sich mit Schwarzen und Mulatten, die aus allen Winkeln der Stadt herbeiströmten. Dann zog der Trauerzug mit dem Sarg durch die Straßen Sevillas. Ein Gefolge bezahlter Klageweiber folgte ihm unaufhörlich weinend, bis die Kathedrale erreicht war. Zwar besaß die Bruderschaft der Schwarzen eine Gruft in der Kirche, wo sie ihre letzte Ruhestätte finden konnte, doch Julia bestand darauf, sie in die Grabkapelle der de Haros zu bringen. Irgendwann würde auch sie dort liegen, und wenn Mamita Lula an ihrer Seite war, machte ihr der Tod nicht solche Angst.
Da es in der Krypta allmählich eng wurde, ließ Julia die verstorbene Gattin ihres ersten Mannes aus dem Sarkophag nehmen, von der nur noch ein Häuflein Knochen übrig war. Diese wurden in eine Marmorurne getan und ohne großes Zeremoniell hinter den Altar gebracht. An dem privilegierten Platz, den die erste Bewohnerin der Grabkapelle nun geräumt hatte, wurde Mamita Lula bestattet. Auf ihre Grabplatte ließ Julia außer ihrem Namen und dem Todestag noch eine Inschrift meißeln.
Keine Dunkelheit der Welt wird je ihr Licht auslöschen können.
Einige Tage später gab Julia bei Josef de Thena y Malfeito, Professor der Jurisprudenz an der Universität Sevilla, ein Klagelied über das unheilvolle Hochwasser in Auftrag. Der Mann gab ihm den düsteren Titel »Sevillanische Klage«.
Der reißende Betis schwillt an und steigt
Angstvoll das Haupt zur Seite sie neigt
Unbewegt die Wolke am Himmel steht
Der Regen gnadenlos fällt, nie vorübergeht
Es bleibt die goldene Sonne verborgen
Als droht’ eine neue Sintflut uns morgen.
Die Druckerei verkaufte Tausende von diesen Bögen. Wie immer, wenn die Stadt von einem Unglück heimgesucht wurde, benutzten die Menschen die Drucke als Amulett. Sie lasen sie, wenn sie sich fürchteten, oder bewahrten sie in der Brieftasche oder unterm Bett auf, damit die Worte sie beschützten. Die Blinden lernten sie auswendig und zitierten sie an den Straßenecken. Und so rückte das Unglück, das Sevilla heimgesucht hatte, in immer weitere Ferne, bis es schließlich zu einer Legende wurde.
***
ALS MONSIEUR VERDOUX, Bruder Dámaso und Abel schließlich unter den Abertausenden von Akten, Manuskripten, Büchern, Inkunabeln und Karten den Kodex der
Siete Partidas
fanden, konnten sie nur staunen. Sie hatten Jahre mit der Herrichtung eines Raumes verbracht, wie Fernando Kolumbus ihn gefordert hatte. Sie hatten eine Inventarliste erstellt und die fünfzehntausend Bände, aus denen die Bibliothek bestand, in Kisten an ihren jeweiligen Platz gebracht, geordnet nach Themen und mit sichtbarem Titel und Verfassername, vor möglichen Schäden geschützt, wie es das Testament verlangte.
Sie hatten sogar dem Letzten Willen entsprochen, alle sechs Jahre literarische Neuheiten zu erwerben, und waren nach Neapel, Rom, Pisa, Florenz und Venedig gereist. In der
Historia rerum ubique gestarum
schilderte Papst Pius Asien und die Auseinandersetzungen zwischen christlichen und türkischen Städten. Im
Imago mundi
wurden die Geheimnisse der Astronomie, die Kosmographie, das Weltbild und die einzelnen Teile der bewohnten Länder erklärt. Mit dem
Buch der Prophezeiungen
wiederum hatte Kolumbus zu belegen versucht, dass die
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