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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Also was jetzt? Gibst du mir ein Stück ab oder nicht?«, fragte er und versuchte, dabei freundlich zu lächeln.
    Guiomar wollte das Buch zur Seite legen und nach dem Teller greifen, um ihm davon anzubieten, doch Cristo packte ihre Hand, in der sie noch das Melonenstück hielt, und führte sie zum Mund. Das Mädchen spürte die feuchte Wärme seines Speichels an ihren Fingerspitzen.
    »Jetzt weiß ich, wie deine Lippen schmecken«, sagte er mit einem verschlagenen Lächeln und aß gierig, ohne ihre Hand loszulassen.
    Genau in diesem Augenblick war das Quietschen der Hoftür zu hören, und Cristo sprang rasch auf. Es war Monsieur Verdoux, der über die Hitze klagte: »Diese verfluchte Stadt kennt nur zwei Jahreszeiten: Winter und Sommer. Da braucht man keine Übergangskleidung.« Aber bevor er weiterschimpfen konnte, hörte er Cristos Stimme, der ihm einen guten Abend wünschte und mit gesenktem Kopf an ihm vorbeiging, um dann hastig auf die Straße zu schlüpfen. Der Franzose stand einen Augenblick regungslos da, um dann in Guiomars verwirrtem Gesicht nach Erklärungen zu suchen.
    »Wart ihr allein,
chérie
?«, fragte er das Mädchen mit besorgter Miene.
    »Ja.«
    Sie betrachtete ihr Handgelenk. Cristos Fingernägel zeichneten sich auf der Haut ab.
    »Was wollte dieser Lümmel von dir?«
    »Nichts … «, sagte sie, noch immer aufgewühlt. »Er hat mich nur um ein Stück Melone gebeten.«
    Monsieur Verdoux sah erneut zur Tür, um sich zu vergewissern, dass Cristo weg war. In seinem Blick lag eine tiefe Abneigung.

18 Banditenzeiten
    Im Leben wie im Schach können die wichtigen Figuren umkehren, die Bauern hingegen können nur vorwärts ziehen.
    JUAN BENET
    I m Frühling des Jahres, als Guiomar siebzehn wurde, besuchte Candela erneut die Druckerei. Sie war nun endgültig eine Berühmtheit. Zuletzt hatte sie die Hauptrolle in einem Stück von Calderón de la Barca gespielt, das den Titel »Die Bucht der Sirenen« trug. Es war eine Mischung aus Gesang und Text, so dass Candela ihr ganzes Können zeigen konnte.
    Das Stück war ein voller Erfolg. Sie spielte die sinnliche Circe, die Odysseus an einen Pfahl fesselt und mit ihren Reizen und Gesängen lockt. Doch bevor die Lust den Helden übermannt, treffen seine Diener ein und retten ihn, indem sie ihm die Augen verbinden und seine Ohren mit Bienenwachs verschließen. Das Publikum tobte vor Begeisterung.
    Das Stück wurde in allen Städten des Landes aufgeführt, doch der Höhepunkt war Madrid, wo sie auf Geheiß des Königs spielten, der sich den Auftritt nicht entgehen lassen wollte. Er veranstaltete ein Fest, an dem viertausend Personen teilnahmen – Freunde des Hofes, Diplomaten und Botschafter. Neben der Theateraufführung gab es ein Bankett und Reiterspiele.
    Immer, wenn Candela in Sevilla war, wohnte sie in der Druckerei, die sich dann in ein einziges Durcheinander von Lachen und Stimmen verwandelte, denn die Frauen hatten sich viel zu erzählen. Sie hatte stets Geschenke für alle dabei, und in den Fluren stapelten sich Koffer, Hutschachteln, Schuhkartons, Schminketuis und Schmuckschatullen. Es dauerte Tage, bis sie ausgepackt und verteilt waren. Da die ganze Stadt die Künstlerin persönlich sehen wollte, bildeten sich lange Schlangen vor dem Eingang des Geschäfts, und langjährige Kunden vergaßen, weswegen sie gekommen waren, wenn sie Candela erblickten. Die Hausmädchen kamen vor lauter Bewundern und Fragenstellen nicht mehr zum Arbeiten, und die Angestellten vergaßen alles um sich herum, wenn sie ihre Schritte auf dem Marmorboden hörten.
    »So kann das nicht weitergehen, Candela«, sagte Abel mit gerunzelter Stirn. »Du machst mir die Angestellten noch ganz verrückt.«
    Also beschlossen sie, vorzeitig in die Sommerfrische aufzubrechen und schon Mitte Mai nach
Las Jácaras
zu fahren. Rosario und Candela fuhren voraus. Sie wollten alles richten, denn in diesem Jahr sollte auch Monsieur Verdoux mitkommen, damit Guiomar nicht dem Müßiggang verfiel. Jedoch stellte sich heraus, dass wichtige Termine Abel bis mindestens Mitte Juli in der Druckerei festhalten würden, und so reisten der französische Lehrer, Guiomar und eine der Köchinnen zwei Wochen später alleine nach Carmona.
    ***
    GUIOMAR WÜRDE NIE VERGESSEN, wie es an diesem Frühlingstag roch: nach Blüten und Thymian, vermischt mit dem herben Geruch der Pferde. Es war heiß, doch durch die Fenster der Kutsche wehte eine sanfte Brise. Während sie in

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