Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
Vom Netzwerk:
der Prior. »Das ist alles, was uns noch fehlte. Er gehört dir. Ich muss dir nicht sagen, was auf dem Spiel steht … Wir müssen gewinnen.«
    Sie verließen Sevilla an einem Samstagmorgen in aller Frühe. Die Kais lagen verlassen da. Die Schiffe schaukelten still auf dem Wasser, in Erwartung eines Kapitäns, der die Leinen losmachen ließ, neuen Abenteuern entgegen. Sie bestiegen ein Schiff der Komturei, das einzig herrschaftliche im ganzen Hafen. Gleich nach dem Ablegen hissten sie die Segel, auf denen das achtspitzige Kreuz prangte. Guiomar wurde ruhig, als sie den Fluss hinabglitten. Man hörte das Knarren des Holzes und die Schreie der Möwen, die dem Boot folgten. Sie bemerkten die Nähe des Meeres, bevor sie es sahen, denn das Schiff blähte noch stolzer die Segel, wie ein Rassepferd, das über die Wellen dahingaloppierte. Guiomar schloss die Augen und sog die salzige Luft ein. Das Schicksal hatte entschieden.
    ***
    ALS SIE IN MAROKKO ANLEGTEN, musste Guiomar sich mit einem Hidschab bedecken, und man riet ihr, sich unauffällig zu verhalten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters bewegte sich Bruder Dámaso leichtfüßig durch den Hafen. Sie mieteten Pferde und machten sich auf den Ritt nach Tétouan. Der Prior erklärte ihr, dass der Name in der Berbersprache so viel bedeute wie »die Quellen«. Offenbar hatten hier Piraten gehaust, bis die spanische Armee die Stadt vollständig zerstörte und ihre Bewohner als Gefangene verschleppte.
    »Wir gehen zum Palast des Kalifen«, sagte er.
    Als sie dort eintrafen, fühlte sich Guiomar unweigerlich an den Königlichen Alcázar in Sevilla erinnert. Die Patios, die Stuckarbeiten, die Zierfliesen, die Brunnen … Es war beinahe, als besuchte man das Haus von Verwandten. Man führte sie in einen Saal mit einem prächtigen gold-blauen Netzgewölbe, gestützt von Säulen, die durch Mehrpassbögen miteinander verbunden waren. Die Luft roch nach Weihrauch, und man hörte das Plätschern des Brunnens. Sie wurden von mehreren Männern in langen Gewändern erwartet. Guiomar bemerkte ihren überraschten Gesichtsausdruck, als sie sie sahen.
    »Das ist Guiomar de Montenegro«, stellte der Prior sie feierlich vor. »Die Bewahrerin des elfenbeinernen Elefanten.«
    Die Männer machten große Augen und tuschelten miteinander auf Arabisch, wobei sie hin und wieder unverwandt zu ihr hinübersahen und mit dem Finger auf sie zeigten. Allmählich begann Guiomar, sich unbehaglich zu fühlen.
    »Vielleicht ist das alles ein Irrtum«, flüsterte sie ihren Begleitern zu.
    »Es gibt keinen Weg zurück«, sagte der Bürgermeister, während er versuchte, Ruhe zu bewahren.
    Die Vertreter des Johanniterordens hatten ihnen erklärt, dass die Gegenspieler, mit denen sie es zu tun hatten, so etwas Ähnliches waren wie sie selbst, nur in der arabischen Welt. Kriegermönche, Derwische genannt, die in Armut und Askese lebten und weltlichem Besitz gleichgültig gegenüberstanden. Die meiste Zeit verbrachten sie mit religiösen Studien. Der Prior hatte Guiomar gebeten, das
Buch ohne Namen
mitzunehmen.
    Als sich die feindselige Atmosphäre ein wenig entspannt hatte, erklärte Bruder Dámaso ihnen, dass Abel de Montenegro gestorben sei. Guiomar sei seine Tochter, seine Erbin, die rechtmäßige Bewahrerin des elfenbeinernen Elefanten. Daraufhin begann sie, ihre Geschichte zu erzählen, in der Hoffnung, sie durch die Wirkung ihrer Worte überzeugen zu können. Sie erzählte, als ob es sich um ein Märchen handelte, beginnend mit dem Unglück am Tag des Erdbebens. Als sie schloss, waren die Muslime der Meinung, dass sie die Richtige war, um die Partie zu spielen.
    ***
    IHR GEGNER WAR EIN GROSSER MANN mit beunruhigend anziehenden Augen, schwarz wie die Nacht. Als sie den Raum betraten, in dem das Spiel stattfinden sollte, war alles vorbereitet. Eine Schar von Neugierigen umringte den Tisch, auf dem das Brett stand. Darauf befanden sich dreißig Schachfiguren. Die beiden fehlenden mussten die Spieler mitbringen, zum Beweis dafür, dass sie die richtigen Vertreter waren. Das Spiel würde beginnen, sobald der Elefant aus Elfenbein und der Elefant aus Ebenholz auf ihre Positionen gestellt wurden. Als es so weit war, verließen die Schaulustigen den Raum, und die Spieler blieben allein zurück.
    Guiomars Herz klopfte bis zum Hals. Sie musste an die Giralda denken. Es lag in ihren Händen, sie für immer zu gewinnen oder sie endgültig zu verlieren. Ihr wurde klar, dass Schach für sie bislang ein reiner Denksport

Weitere Kostenlose Bücher