Der Turm der Könige
würden, von der die Frau seiner Träume umgeben war und die er für Sittsamkeit gehalten hatte. Manchmal aber, wenn er zwei Gläschen im Punta del Diamante trank, fühlte er sich schrecklich einsam. Dann hasste er sich selbst, sein Verstand spielte ihm böse Streiche, und er sah in der übertriebenen Höflichkeit, mit der die Witwe ihn behandelte, die Geringschätzung der Herrin gegenüber ihrem Untergebenen.
Falls Julia das Interesse bemerkt hatte, das sie in ihrem Druckermeister weckte, ließ sie es sich nicht anmerken. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, hatte sie das Gefühl, ihr eigener Herr zu sein. Sie kam zu dem Schluss, dass man als Mann geboren oder Witwe sein musste, um das Leben wirklich genießen zu können. Aber das war, bevor sie León kennenlernte, bevor sie der Blick seiner tiefblauen Augen entflammen ließ, bevor sie entdeckte, dass es verborgene Stellen ihres Körpers gab, die angesichts der Vorstellung, den Mund dieses Seemanns auf sich zu spüren, jeden Widerstand aufgaben. Wenn Julia darüber nachzudenken versuchte, was dieser Mann in ihr auslöste, der sechs Jahre jünger war als sie, dann wurde ihr bewusst, dass es nicht sein außergewöhnlicher Körper war, nach dem sie sich verzehrte wie nach dem letzten Tropfen Wasser in der Wüste. Es war auch nicht sein verführerisches Lächeln, nicht seine dunklen Hände, seine tiefe Stimme … Nein, das alles war es nicht. Es war etwas viel Hintergründigeres, etwas, das über das Körperliche hinausging.
Julia kümmerte sich mit der Begeisterung eines jungen Mädchens persönlich um die Hochzeitsvorbereitungen. Das Erste, was sie in Angriff nahm, war der Kauf eines neuen Bestecks, das allen Anforderungen eines feinen europäischen Haushalts standhielt, wie ihr der Verkäufer beteuerte. Es war aus ziseliertem Silber mit Griffen aus Bergkristall, aber am bemerkenswertesten war die Unmenge an Fischmessern, Dessertmesserchen, Tranchiermessern, Wildmessern … Mamita Lula konnte sie nie auseinanderhalten. Ein Kunde der Druckerei, der sich mit Heraldik auskannte, fertigte für die Witwe die Wappenschilde der Namen Montenegro und Gil de la Sierpe an. Julia ließ sie, mit goldenen Voluten umschlungen, auf ein Geschirr aus Meissener Porzellan gravieren, das sie nur zu besonderen Anlässen zu benutzen gedachte, und gab deshalb noch ein zweites bei den Töpfern aus Triana in Auftrag.
Sie bestellte bei den Augustinerinnen drei Sätze bestickter Tischwäsche, vier Garnituren Bettwäsche, Leibwäsche mit ihren Initialen und ein Dutzend gekantelter Wäsche für León, die zu tragen dieser sich weigerte. Zum Glück bestand Julia nicht darauf, denn sie drohte ihm etwas von der verführerischen Aura eines Piraten zu nehmen, die ihr so an ihm gefiel. Trotzdem gab sie der Näherei den Auftrag, die Garderobe ihres zukünftigen Mannes zu erneuern. Binnen zwei Wochen füllte sich das Haus mit Päckchen, die ein Dutzend Spitzenkragen enthielten, mit glänzendem Stoff bezogene Knöpfe, brillantenbesetzte Schließen, ein Wams aus Silbertaft sowie zwei Samtjacketts, eines in Weinrot und eines in Schwarz. Die Waffenschmiede schickte als Hochzeitsgeschenk für den Bräutigam eine Pistole, die León als eine geschmacklose Anspielung begriff, da ihm nachgesagt wurde, ein Pirat zu sein.
»Wie empfindlich du bist!«, neckte ihn Julia mit einem breiten Grinsen, küsste ihn dann jedoch auf den Mund.
Wenn León sah, wie Julia und Mamita Lula hektisch in ihre Vorbereitungen vertieft waren, hierhin und dorthin eilten, in Wäsche wühlten, Möbel stapelten, Einladungen schrieben, wurde ihm ganz schwindelig. Er fragte sich, warum sie es für so wichtig hielten, vor der Hochzeit all diesen Kram zu kaufen, wo sie doch bislang auch hervorragend ohne klargekommen waren.
»Bist du sicher, dass du nichts brauchst?«, fragte ihn seine Verlobte ein wenig erstaunt.
»Na ja«, sagte er, »ich vermisse ein Schachspiel. Es sollte in jedem Haus eines geben. Dieses Spiel zumindest in Ansätzen zu beherrschen, füllt die Leere der menschlichen Seele und mildert die Trauer um das Wissen der eigenen Sterblichkeit.« Dann schloss León die Augen und beschrieb das Vergnügen, einen Kampf auf begrenztem Raum auszutragen, als wolle man die Ewigkeit auf einem Brett mit vierundsechzig Figuren festhalten. »Die verschiedenen Züge, die man beim Schach ausführen kann, sind ebenso unbegrenzt wie die möglichen Ausdrucksformen der Kunst, mit der Einschränkung, dass man das Spiel nicht allein
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