Der Turm der Könige
bestimmt.« Er ballte die Fäuste und hob sie zur Brust. »Beim Schachspiel stehen wir unserer Nemesis gegenüber, die uns verfolgt, uns bedrängt, uns zu zerstören, zu töten versucht … Worauf es bei diesem Kampf wirklich ankommt, ist die eigene Persönlichkeit. Wir alle kämpfen gegen den Feind in uns selbst.«
León öffnete langsam die Augen und sah die beiden Frauen vor sich stehen und ihn mit offenem Mund anblicken.
»Wenn du mich so fragst, dann hätte ich gerne ein Schachspiel«, schloss er mit einem Lächeln.
»Dann wird es aber höchste Zeit«, erklärte Julia und verfiel wieder in ihre hektischen Vorbereitungen. »Wir gehen noch heute Nachmittag zu dem Kunsttischler in der Calle de la Carpintería. Ich hoffe, er kann in zwei Wochen alles fertig haben. Du hättest mir früher sagen sollen, dass du Freude an so einem Spiel hast«, warf sie ihm vor.
»Warum diese Eile? Es ist doch nicht schlimm, wenn es erst nach der Hochzeit fertig wird«, seufzte León.
»Und ob das schlimm ist«, schimpfte Mamita Lula und schüttelte den Kopf, die Hände in die Hüften gestemmt. »Da merkt man, dass die Männer in der Glückseligkeit der Ignoranz leben. Ist doch nicht schlimm, sagt er … ha!«
***
FÜR CRISTÓBAL ZAPATA WAR die Ankündigung von Doña Julias Vermählung wesentlich schlimmer als die Erdbebenkatastrophe. Seine ganzen Lebenspläne wurden durch die Torheit der Witwe hinfällig. Als der Schreiber ihm von dem schriftlichen Heiratsantrag erzählte, den León bei ihm in Auftrag gegeben hatte, war er empört über die Unverschämtheit des Lehrlings. Aber er hätte nie gedacht, dass Doña Julia den Antrag annehmen würde. Wohl bemerkte er manchmal die verstohlenen Blicke, die sich die beiden zuwarfen, ein vertrautes Lächeln, flüchtige Berührungen, aber niemals hätte er sich vorstellen können, dass die Sache darüber hinausging. Er glaubte, Doña Julia gut genug zu kennen, um sicher zu sein, dass diese dreiste Liebeserklärung ihren Zorn erregen werde. Doch die Reaktion der Frau fiel völlig anders aus, als von ihm erwartet.
Nach einigen Tagen begann Julia, bei der Arbeit vor sich hin zu summen, und ihr Wesen wurde sanftmütiger. Manchmal seufzte sie und schaute versonnen in die Ferne, ein verträumtes Lächeln auf den Lippen. Cristóbal mochte sich nicht einmal vorstellen, dass all das durch die Dreistigkeit dieses nichtsnutzigen Herumtreibers verursacht wurde. Doch dann wurde die Nachricht von der Verlobung bekannt, und Cristóbal quälte sich mit dem Gedanken, dass es ein Fehler gewesen war, der Witwe niemals seine Liebe zu gestehen. Dass er ihr nie seine Leidenschaft, sein Verlangen gezeigt hatte, dass er keinen Versuch unternommen hatte, sie zu küssen, wenn er bis spät blieb, um zu arbeiten, während sie die Rechnungsbücher durchging. Seit Jahren hatte er geduldig gewartet, ohne sie zu bedrängen, ohne sie zu behelligen. Er wollte, dass sie eines Tages aufwachte und wusste, dass er der Richtige für sie war. Wie konnte er ahnen, dass sich Doña Julia von plumpen Komplimenten angezogen fühlen könnte, von unverschämter Dreistigkeit? Sie gehörte von Rechts wegen ihm. Jeder wusste, dass die Witwe eines Druckers irgendwann ihren Werkstattmeister heiratete. Sie
musste
ihn heiraten. Das war sie ihm schuldig.
Cristóbal fühlte sich verloren. Nicht nur, dass seine Heiratspläne vereitelt worden waren, die Hochzeit seiner Patronin brachte auch seine berufliche Sicherheit ins Wanken. León hatte binnen weniger Monate den alten Setzer überflüssig gemacht. Nun, da er zum Mitbesitzer wurde, würde er wohl nach und nach die Leitung der Werkstatt übernehmen. Cristóbal hatte nicht die Kraft, sich auf die Schnelle nach einer neuen Arbeit umzusehen. Die gehobene Position, die er in der Druckerei de Haro innehatte, würde in den übrigen Druckwerkstätten der Stadt, die durch eine strenge Zunftordnung geführt wurden, bereits besetzt sein.
Deshalb suchte er eines Tages das Gespräch mit der Witwe. Unsicher näherte er sich ihr, wobei er es vermied, ihr in die Augen zu blicken. Widerstrebend musste er zugeben, dass sie noch schöner war, seit León in ihr Leben getreten war. Er hasste sich selbst dafür, dass nicht er der Grund für diese Schönheit war, so wie er León dafür hasste, dass dieser eine solche Wirkung auf sie hatte. Stammelnd begann er, sein Anliegen vorzutragen, doch sein Mund war trocken, sein Herz raste, die Hände waren kalt und schweißnass. Julia bemerkte seine Unruhe und legte
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