Der Turm der Könige
Liebesnest gewesen war.
»Nur bis das Kind auf der Welt ist«, sagte Mamita Lula zufrieden, während sie ihm dabei half, seine Sachen umzuräumen.
***
»ICH HAB’S!« Mit diesen Worten stürzte León in die Komturei.
Er wuchtete den runden Stein, den er bei sich trug, auf den großen Tisch in der Mitte des »Krak des Chevaliers«, und die Mönche scharten sich darum, ohne ein Wort zu sagen.
León hatte seine Verbannung in den abgelegenen Keller genutzt, um den behauenen Stein in einen Jutesack zu wickeln und mitten in der Nacht das Haus zu verlassen, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Im Schutz der Dunkelheit in den engen Gassen war er ein weiteres Mal nach San Juan de Acre gegangen. Er war überzeugt, dass er endlich eine Spur gefunden hatte, die er verfolgen konnte, und dass dieser vom Himmel gefallene Stein mit seinem geheimnisvollen Reliefbild unmittelbar mit seiner Suche zu tun hatte. Doch die Reaktion der Mönche fiel anders aus, als er erwartet hatte. Sie kratzten sich am Kinn und wiegten bedeutungsschwer die Köpfe, kamen aber offensichtlich zu keinem rechten Schluss.
»Er stammt von der Decke der Kathedrale«, sagte León, als er genug von dem Schweigen hatte. »Er ist beim Erdbeben herabgestürzt.«
»Weißt du die genaue Stelle?«, fragte Bruder Lorenzo, während er skeptisch die Augen zusammenkniff. »Die Kathedrale von Sevilla ist nämlich nicht gerade klein. Sie ist die größte gotische Kathedrale der gesamten Christenheit«, erklärte er mit erhobener Stimme. »Weißt du, was der Stadtrat sagte, als er beschloss, die alte Moschee abzureißen, um an ihrer Stelle eine Kirche zu errichten, die der Größe der Stadt angemessen wäre?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, zitierte er:
»Wir wollen ein Gotteshaus bauen, bei dessen Anblick uns der Betrachter für verrückt erklärt.«
»Von seinem Erhaltungszustand her zu schließen, würde ich schätzen, dass dieser Stein mindestens zweihundert Jahre alt ist«, warf einer der Mönche ein und fuhr mit dem Zeigefinger über den abgerundeten Rand, auf dem noch die Reste einer einfachen Bordüre zu erkennen waren, die als Abschluss gedient hatte.
»Es ist jedenfalls spannend, in einer Kathedrale die Darstellung zweier schachspielender König zu finden«, setzte Bruder Dámaso hinzu. »Außerdem, weshalb sollte man das Bildnis eines Muslims in einer christlichen Kirche anbringen? Und dieser lateinische Satz: ›Hier sind die Regeln des Spiels‹ …« Seine Stimme wurde eindringlicher. »Möglicherweise haben wir hier die erste konkrete Spur bezüglich ihres Verbleibs. Die Regeln des Spiels …« Er seufzte. »Wir sind mit der Schuld aufgewachsen, sie verloren zu haben. Deshalb habe ich Sorge, dass wir überall Anspielungen sehen, wo es eigentlich keine gibt.«
»Aber das hier ist mehr als nur eine Anspielung!«, brach es aus León hervor. »Oder bin ich der Einzige, der die deutliche Botschaft bemerkt, die dieser Stein uns übermittelt? Ich denke, die Szene zeigt den Tag des heiligen Clemens 1248, an dem die Christen in Sevilla einzogen. Ohne jeden Zweifel handelt es sich um den Augenblick der Kapitulation, als sich der muslimische Herrscher Axataf und König Ferdinand in einem Feldzelt gegenübersaßen, um das Dokument aufzusetzen, das Sevilla endgültig zum christlichen Gebiet erklärte. Beachtet ihren Gesichtsausdruck!« León deutete aufgeregt auf die in Stein gehauenen Figuren. »Es hat den Anschein, als hörten sie draußen das Wehklagen der sevillanischen Muslime und das Schluchzen der Frauen, die sich vor Schmerz das Haar rauften und das Gesicht zerkratzten, weil sie wussten, dass man sie aus ihrer geliebten Heimat vertreiben würde.«
León dachte an die faszinierende Geschichte, die er zum ersten Mal während seiner Gefangenschaft bei den Türken gehört hatte und die ihm der Großmeister in Malta dann bestätigte. Beide Geschichten stimmten im Wesentlichen überein. Sie berichteten, wie der letzte muslimische Herrscher von Isbilya unbewegt und gefasst schweigend zuhörte, während der Sekretär des christlichen Königs die Kapitulationsbedingungen auf einem Pergamentbogen festhielt. Axatafs einzige Forderung vor Verlassen seiner Stadt war, dass man den Besiegten zumindest gestatten solle, den wunderbaren Turm der großen Moschee niederzureißen, um nicht die Schmach ertragen zu müssen, ihn in Christenhand zu sehen.
Doch Prinz Alfons, der später als König Alfons der Weise bekannt wurde, sprang auf und versicherte, dass er jedem den
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