Der Turm der Könige
aber kein Platz mehr, um auch nur eine Vase oder eine Keramikfigur aufzustellen, erlaubte es sich Mamita Lula, einige Möbel für ihr eigenes Zimmer zu kaufen: einen Schaukelstuhl mit Fußbänkchen, in den sie sich setzen konnte, um zu stricken, und einen Tisch, dessen Platte von vier dunkelhäutigen Figuren getragen wurde, wie sie derzeit in Mode waren. Ihr machte dieses demütigende Detail nichts aus. Es bereitete ihr keine schlaflosen Nächte, dass es Leute gab, die so dumm waren, Parallelen zwischen der untergeordneten Stellung zu ziehen, in die sie von den Weißen gebracht worden war, und der dienenden Funktion der Tischbeine.
Dass sie Doña Julia den Haushalt führte, hieß nicht, dass ihre Intelligenz für mehr nicht ausreichte – auch wenn sie tatsächlich keine größeren Ziele hatte. Sie war glücklich in ihrer Position als Herrin über Haus und Anwesen. Die übrigen Dienstboten gehorchten ihr, ohne zu murren, denn im Laufe der Jahre hatte sie sich eine durchdringende Stimme zugelegt, und ihre Anweisungen waren schon aus der Ferne zu hören wie das Donnergrollen eines afrikanischen Vulkans. Dieses Haus war ihr Heim, und Julia war ihre Familie.
Seit über fünfundzwanzig Jahren achtete sie darauf, dass ihre Herrin ordentlich aß und dass ihre Kleider immer sauber und gebügelt waren. Sie hörte sich ihre Probleme an und leistete ihr Gesellschaft, wenn sie nicht schlafen konnte. Sie hielt sich für unersetzlich und war der festen Überzeugung, dass Doña Julia nicht ohne sie leben konnte – schon gar nicht jetzt, da sie so gedankenverloren von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt war, dass sie nicht einmal die ausladende Dekoration kommentierte. Sie bemerkte lediglich die schweren Vorhänge und die verschnörkelten Muster der Orientteppiche, die einen ganz schwindlig machten, wenn man sie länger betrachtete. Diese Gleichgültigkeit der jungen Ehefrau war verdächtig, und schon bald war nicht mehr zu übersehen, dass sie schwanger war.
»Na, wenn das mal keine Zwillinge werden«, sagte die eine oder andere Nachbarin mit einem taxierenden Blick auf den dicken Bauch, obwohl Julia beteuerte, erst im dritten Monat zu sein.
Mamita Lula verhätschelte sie wie früher als kleines Mädchen. Sie stand vor Sonnenaufgang auf, zog sich an und ging dann nach unten, um den neuen Kohleherd anzufeuern. Während die Glut hochflackerte, schnitt sie Brot, um es zu rösten. Dann kochte sie Wasser für ihren Kaffee, den sie in einem Schaukelstuhl im Patio in kleinen Schlucken trank, während sie geistesabwesend vor sich hinsah. Es war der schönste Moment des Tages. Sie saß dort und wartete geduldig, dass auch die übrigen Bewohner des Hauses ihr Tagwerk begannen. Wenn alle Angestellten in der Druckerei eingetroffen waren und die Hausarbeit eingeteilt war, brachte sie Doña Julia das Frühstück nach oben.
Diese schlief meistens noch, weil die Schwangerschaft sie erschöpfte. Mamita Lula zog vorsichtig die Vorhänge zurück, rückte ihr das Kissen im Rücken zurecht, stellte das Tablett auf Julias Knie und setzte sich neben sie, um ihr das Brot mit Butter zu bestreichen. Während Julia frühstückte, erzählte sie ihr eine Kindergeschichte, unbeeindruckt davon, dass Julia diese seit Jahren in- und auswendig kannte und sie außerdem schrecklich albern fand. Aber die Meinung der Herrin war ihr egal. Sie war überzeugt, dass die Babys im Mutterleib die Gespräche der Erwachsenen mithörten und man ihnen deshalb den Eindruck vermitteln musste, dass alles da draußen eitel Freude war.
»Wenn das Kleine mitbekommt, wie abstoßend die Welt ist, auf die es kommt, klammert es sich womöglich an den Rippen fest und will nicht raus«, behauptete sie und deutete auf den dicken Bauch.
»So ein Unfug!«, murrte Julia.
Mamita Lula machte den Dienstboten eine lange Liste von Vorschriften, die unbedingt zu befolgen waren, bis das Baby zur Welt kam. Vor allem war es verboten, die Herrin mit Angelegenheiten der Druckerei zu behelligen – das war Cristóbals Sache. Die Maschinen durften nicht vor zehn Uhr vormittags bedient werden – die Herrin sollte von der Sonne geweckt werden und nicht vom Rattern dieser Ungetüme. Auf keinen Fall durften stark duftende Blumen auf dem Esstisch stehen, denn das verursachte der Herrin Übelkeit. Julia ließ es mit sich geschehen. Dass ein lebendiges Wesen in ihr heranwuchs, ließ sie milde werden. Jahre später würde sie nur noch verschwommene, ungenaue Erinnerungen an diese Zeit ihres Lebens
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