Der Turm der Könige
den Lieferanten zu streiten oder Neuerungen durchzusetzen. Sie ging völlig in ihrer Arbeit auf und hatte ganz vergessen, dass sie eine Frau war.
Alle Bitten, doch wieder zu heiraten, stießen bei ihr auf taube Ohren. Einzig die Jahre, die sie mit León de Montenegro verbracht hatte, hatten Licht in ihr Leben gebracht. Mit der Zeit kam ihr die Erinnerung an diese Leidenschaft, die sie damals beinahe wahnsinnig gemacht hatte, wie ein wollüstiger Traum vor. Es erschien ihr unglaublich, dass daraus Abel entstanden war. Nichts forderte Julias Aufmerksamkeit mehr als die Sorge um ihr Geschäft, so dass Abel bald gezwungen war, sich um sich selbst zu kümmern. Gerne hätte er mehr von seiner Mutter gehabt, aber er traute sich nicht, sie bei der Arbeit zu stören. Wenn er es doch einmal tat und sie unwirsch reagierte, bekam er Angst, ihr nicht zu genügen. Er war zutiefst verunsichert.
Zum ersten Mal wurde er sich dessen bewusst, als Julia ihm ganz allein die Druckerei anvertraute. Er war damals erst dreizehn Jahre alt, aber er erinnerte sich noch ganz genau an seine schweißnassen Hände, als er seine Mutter und Cristóbal aus der Tür gehen sah. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass die beiden ihn auf die Probe stellten, überzeugt, dass etwas schiefgehen würde. Der Junge überwachte den ganzen Vormittag jeden Handgriff der Arbeiter, hantierte scheinbar gelassen an der Ladentheke, ordnete Regale, stapelte Papier, bis ein Mann mit breiten Schultern und riesigen Händen in den Laden kam und die Fässer für die Druckfarbe mitnehmen wollte, um sie nachzufüllen.
»Meine Mutter hat mir nichts davon gesagt«, erklärte Abel.
»Ganz wie Sie meinen, junger Herr«, sagte der Mann, während er gleichgültig mit dem kleinen Finger in den Zähnen pulte. »Aber wenn ich sie jetzt nicht mitnehme, werde ich vor nächster Woche nicht mehr kommen können. Und soweit Ihre Mutter mir sagte, hat sie nichts mehr auf Lager. Ich will’s nur gesagt haben …«
Abel sah ihn lange an und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass seine Mutter ziemlich wütend werden würde, wenn die Maschinen durch seine Schuld stillstanden. Und so unterschrieb er den Lieferauftrag. Der Mann verschwand rasch im Lager und schleppte die Fässer heraus, während die Angestellten der Druckerei weiterarbeiteten, ohne ihn weiter zu beachten. In fünf Minuten hatte er den Karren beladen, der vor der Tür stand, und fuhr grußlos davon.
Als Abel ihn davonrumpeln hörte, befiel ihn die Furcht, dass es sich um einen Betrüger handeln könnte. Er fragte die Druckereiangestellten, ob sie den Mann kannten, der soeben gegangen war, aber keiner wusste etwas über ihn. Als seine Mutter und Cristóbal von ihren Besorgungen zurückkehrten, erwartete sie ein aufgelöster Abel, der wütend auf sich und die Welt war. Er erklärte ihnen hastig, was passiert war, während sie nachsahen, was fehlte, ohne ein Wort zu verlieren. Abel hatte mit Flüchen und Vorwürfen gerechnet – mit allem, nur nicht mit dem bitteren Kommentar seiner Mutter, der nicht einmal an ihn gerichtet war.
»Wusste ich doch, dass man ihn nicht allein lassen kann«, sagte sie zu Cristóbal Zapata.
Aufgrund dieses Vorfalls und der herablassenden Mienen von Cristo und einigen Angestellten hatte Abel immer das Gefühl, als bewegte er sich auf schwankendem Boden, sobald er die Druckerei betrat. Nur wenn er mit Julita zusammen war, fühlte er sich sicher. Deshalb zog er sich mit ihr zurück, sooft sich die Gelegenheit bot.
***
IM SOMMER ZWANG IHN MAMITA LULA immer, nach dem Essen einen Mittagsschlaf zu halten. Doch Abel gelang es meistens, mit Turca zu entwischen, um sich mit Julita zu treffen. Die drei liefen durch die Straßen, wobei sie sich immer im Schatten hielten, bis sie das Ufer des Guadalquivir erreichten. Dort erwartete sie Julitas Großvater, der trotz seines Alters nach wie vor als Flusswächter arbeitete. Die Kinder begleiteten ihn auf seinen Kontrollgängen am Flussufer entlang, wo sie Ausschau nach Personen hielten, die in Not geraten waren und aus dem Wasser gezogen werden mussten. Sie halfen ihm, ein Netz vom einen Ufer zum anderen zu spannen, in dem die aufgedunsenen Leichen der Unglücklichen hängen blieben, für die man nichts mehr tun konnte. Der Flusswächter brachte den Kindern das Schwimmen bei und ließ sie gemeinsam baden, trotz der klaren Vorschrift, dass Frauen nur zwischen Los Humeros und dem Stadttor San Juan ins Wasser durften und die Männer zwischen dem Wassergraben
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