Der Turm der Könige
ständig ihre Vasen und Obstschalen füllte, und ging nicht weiter auf seine Aufmerksamkeiten ein. Dinge, über die man nicht sprach, existierten für sie nicht. Und wenn sie nicht existierten, konnte sie weiterleben wie bisher, ohne sich in Cristóbal Zapatas Gegenwart unwohl zu fühlen. Manchmal machte Mamita Lula eine scherzhafte Bemerkung darüber, wie viel Aufmerksamkeit der Druckermeister ihr entgegenbrachte, doch sie wiegelte ab.
»Dass du immer alles so aufbauschen musst!«, entgegnete sie der Haushälterin. »Er ist ein netter Mann … und sehr fleißig. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche, und verlangt keinen überzogenen Lohn. Die übrigen Druckereibesitzer beneiden mich darum, dass ich ihn als Werkstattmeister habe. Mit Sicherheit würden viele ihm das Doppelte bieten, aber er ist nach wie vor bei mir. Aus reiner Loyalität.«
»Ja, natürlich … Loyalität«, wiederholte die schwarze Dienerin vieldeutig.
Erst wenn der Abend kam, erlaubte sich Julia einen Moment der Schwäche. Mit einem Stöhnen stand sie auf, hielt sich den Rücken und bat Mamita Lula, ihr die Nierengegend mit Rosmaringeist einzureiben, damit die Herzschmerzen nachließen.
»Aber da ist nicht das Herz, mein Kind«, sagte die Dienerin, während sie ihre großen, schwarzen Hände über Julias bloßen Rücken wandern ließ.
»Ich weiß. Da sind Muskeln, Knochen, Adern, Blut, …«
»Unsinn«, widersprach Mamita Lula. »Das sind doch nur Märchen, sag ich Ihnen. Wie sollten all diese Dinge in einen so zierlichen Körper wie den Ihren hineinpassen? Das geht doch gar nicht!«
Julia lachte und zeigte ihr die Zeichnungen in den Anatomiebüchern ihres Vaters, des Apothekers, auf denen Menschen schamlos ihr Innenleben entblößten.
»Das ist ja widerlich!«
»Aber zuzusehen, wie sich die Büßer den Rücken blutig schlagen – das findest du nicht widerlich«, entgegnete Julia.
In diesen Tagen der Karwoche hatte die Druckerei einen Vortrag veröffentlicht, den Doktor Valentín Nicomedes González y Centeno vor der Königlichen Akademie für Medizin gehalten hatte. Er trug den Titel
Über die schweren Schäden, welche das Geißeln der körperlichen Gesundheit zufügt
. Der berühmte Arzt machte in seinem Text deutlich, dass die Tradition der sevillanischen Büßer, sich während der Prozessionen in der Karwoche öffentlich zu geißeln, eine Barbarei sei, wie sie einem wilden Tier, nicht aber vernunftbegabten Menschen anstehe.
An den Prozessionen nahmen zahlreiche junge Männer mit freiem Oberkörper teil, das Gesicht von einem Tuch verdeckt. Sie gingen hinter den überlebensgroßen Gnadenbildern ihrer jeweiligen Schutzpatronin her, die auf großen, blumengeschmückten Podesten durch die Straße getragen wurde, und züchtigten sich mit Peitschen aus Hanfstricken, an deren Enden kleine Eisenstückchen befestigt waren. Andere benutzten die
almeta
, eine Art mit Glassplittern besetzter Holzschläger, mit dem sie sich auf Brust und Rücken schlugen, oder den
cerote
, eine mit Garn umwickelte Wachskugel, die mit Eisennägeln gespickt war.
Einige von ihnen waren so geschickt darin, das Blut fließen zu lassen, dass sie es in jede beliebige Richtung verspritzen konnten. Sah der Büßer also das Mädchen seiner Träume am Wegesrand stehen, geißelte er sich so, dass er genau ihr Kleid bespritzte. Das Mädchen, dessen Kleid am meisten besudelt war, wenn es nach Hause kam, galt als das schönste und begehrteste.
Aber Julia war angewidert von diesen Liebesbeweisen, die so gar nichts mit Leóns zärtlichen Blicken und Berührungen vor vielen Jahren zu tun hatten. Wenn sie diese blutüberströmten Burschen sah, die sich ihre Wunden mit warmem Wein und Rosmarin betupfen ließen, als ob sie olympische Helden seien, war sie heilfroh, dass Abel nie das geringste Interesse verspürt hatte, sich selbst windelweich zu prügeln, um ein Mädchen zu beeindrucken. Deshalb war sie stolz, als der Stadtrat von Sevilla ihr den Auftrag erteilte, die Plakate mit dem Verbot Karls III . zu drucken, die an allen Straßenecken, auf den Plätzen und an den Türen der Häuser aufgehängt wurden.
ES IST UNTERSAGT , SICH AUF OFFENER STRASSE ZU GEISSELN SOWIE BUSSKETTEN , FUSSEISEN ODER FESSELN ZU TRAGEN . DES WEITEREN IST JEDES VERGLEICHBARE BLUTIGE SCHAUSPIEL VERBOTEN UND WIRD MIT EINER STRAFE VON ZWANZIG DUKATEN ODER DREISSIG TAGEN GEFÄNGNIS GEAHNDET .
***
»NEHMEN SIE EIN PAAR DAVON MIT und hängen Sie sie auf«, schlug sie Cristóbal Zapata an diesem
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