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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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an.
    »Ruhig Blut, Junge. Nimm die Bemerkung über deinen Vater als Kompliment. Ich habe nicht die Absicht, dir, deiner Familie oder dieser niedlichen Kleinen wehzutun, mit der du zusammen bist.«
    Abel spürte, wie ihm die Vorahnung des Unheils die Kehle zuschnürte. Sein Mund war trocken, seine Hände schweißnass.
    »Lassen Sie meine Familie und Julita in Ruhe!«, sagte Abel, während er die Fäuste noch fester ballte und den Körper halb herausfordernd, halb abwehrend vorbeugte.
    »Wie mutig! Auch darin erinnerst du mich an León de Montenegro«, sagte der Fremde abschätzig. »Aber keine Sorge, ich habe nicht das geringste Interesse an euch.«
    »Was wollen Sie dann?«
    Es entstand ein unangenehmes Schweigen.
    »Den Elefanten aus Elfenbein«, flüsterte der Büßer ganz ruhig.
    Abel erinnerte sich an die Schachfigur. Er erinnerte sich daran, wie sie sich angefühlt hatte. Er erinnerte sich auch an das Versprechen, das er seinem Vater vor dessen Tod gegeben hatte.
    »Ich weiß nicht, von welchem Elefanten Sie sprechen«, erwiderte Abel und reckte das Kinn vor.
    »Leoncito, Leoncito«, seufzte der Unbekannte, wobei er jede Silbe einzeln betonte. »Lass uns nicht darüber diskutieren. Du weißt, dass du ihn hast, und ich weiß es auch … Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wo. Also verschwende bitte nicht meine Zeit.«
    »Ich weiß nicht, wer Ihnen gesagt hat, dass ich diesen Elefanten habe, aber derjenige hat Sie belogen. Ich versichere es Ihnen.«
    Der Unbekannte brach in lautes Gelächter aus, das über dem Guadalquivir schwebte und noch eine ganze Weile dumpf über dem Wasser widerhallte. Für einen Moment schien ihm die Luft wegzubleiben, doch dann fand er seinen herablassenden Ton wieder.
    »Wer lügt«, begann er, »hat keine Ahnung, was er sich damit aufhalst. Er ist gezwungen, sich zwanzig weitere Lügen auszudenken, um die erste aufrechtzuerhalten. Überzeugend zu lügen, ist eine Kunst, und du bist ein blutiger Anfänger darin.« Er lachte erneut auf. »Zuerst hast du mir gesagt, dass du nichts von einem Elefanten weißt, und jetzt, dass du ihn nicht hast. Was denn jetzt? Glaub nicht, dass ich ein skrupelloser Mensch bin. Ich erwarte nicht, dass du ihn einfach so herausrückst. Ich weiß, dass es ein Erinnerungsstück für dich ist, deshalb habe ich mir überlegt, dir im Gegenzug etwas anderes dafür zu geben. Aber was könnte ich dir schon anbieten? Dir, der du alles hast.« Er legte theatralisch den Finger ans Kinn, als müsste er nachdenken. »Ah, ich weiß! Wenn du mir den Elefanten gibst, wird dir nichts passieren. Es wird alles so weitergehen wie bisher. Du kannst einfach so weitermachen, mit deinem geschenkten Leben und ohne eigene Ambitionen. Was hältst du davon?«
    Es beleidigte Abel, wie der Unbekannte sein Leben beschrieb. Er fand es furchtbar, dass sein Leben, von außen betrachtet, so simpel aussah.
    »Soll das eine Drohung sein?«, fragte er.
    »Drohung ist ein so … unschönes Wort. Ich nenne es lieber einen Handel. Also, werden wir uns einig?« Der Büßer streckte ihm die behandschuhte Hand entgegen.
    »So wichtig ist Ihnen dieser Elefant?«
    »Dieser Elefant ist eine Gefahr.« Der Unbekannte zog die Hand zurück, als er sah, dass der Junge nicht gewillt war, einzuschlagen. »Davon, dass klug von ihm Gebrauch gemacht wird, hängen äußerst wichtige Dinge ab. Findest du nicht, dass das eine zu große Verantwortung für dich ist? Wenn du ihn mir gibst, kann ich mich um diese ganzen langweiligen Angelegenheiten kümmern.«
    »Ich kann Ihnen den Elefanten nicht geben. Ich habe ihn verloren«, behauptete Abel.
    »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, mein lieber Leoncito. Wie gesagt, ich kenne dich. So sentimental, wie du bist, würdest du niemals das letzte Andenken an deinen Vater verlieren.«
    »Wer sind Sie?« Abel war verzweifelt. »Woher wissen Sie, dass es das letzte Andenken an meinen Vater ist?«
    »Ich weiß viele Dinge, weil ich äußerst neugierig bin und dich genau beobachte. Du hingegen gehst durch die Welt und gibst dich mit Brosamen zufrieden, statt dich über das Hauptgericht herzumachen.«
    Erneut war Abel von der Bemerkung gekränkt.
    »Angenommen, ich gehe auf Ihren Vorschlag ein und übergebe Ihnen den Elefanten. Was haben Sie damit vor?«
    »Ihn zu benutzen, natürlich«, sagte der Mann. »Ich lasse dir ein wenig Bedenkzeit, Leoncito, und du triffst die Entscheidung, die du für richtig hältst. Vergiss nicht, ich bin in deiner Nähe. Ich bin immer in deiner

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