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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Weile, sahen zu dem Darrenhaus hinüber, das sich nun rußschwarz gegen den lichten Himmel abhob.
    «Also   … es geht darum, die unsterbliche Seele zu Gott zu führen», sagte Merrily. Der Mond beschien ihr Gesicht, und sie sah überhaupt nicht nach einer Heiligen oder einer Göttin aus. Sie sah aus wie eine ganz normale Frau. «Darin besteht die Erlösung.»
    Ohne weiter zu überlegen, sagte er: «Merrily, wie kannst du Ihn lieben? Wie kannst du dich an Ihn binden   …»
    «Liebst du Ihn wie einen Mann?»
    «So ungefähr.»
    «Willst du es genau wissen?» Er nickte. «Wenn ich bete, stelle ich mir keinen Mann vor. Und auch keine Frau. Ich probiere einfach herum – es hat wie eine Vision angefangen, aber jetzt existiert es wirklich – eine Wärme und ein Licht und einKern aus   … was man vielleicht unendliche, selbstlose Liebe nennen könnte. Was keine Gegenleistung verlangt, aber Akzeptanz – und diese Akzeptanz ist der Glaube. Manchmal stellt es sich als Unendlichkeit aus Blau und Gold dar, aber das ist nur meine subjektive Wahrnehmung. Es ist einfach eine unglaubliche Güte, so schön und so nah, so intim, dass   … Nein», sagte sie. «Das ist kein Mann. Das ist etwas ganz anderes.»
    Lol war froh, jedenfalls kurz. «Und spürst du hier etwas davon? Von dieser Güte?»
    «Nein. Und das beunruhigt mich. Manchmal bringe ich nichts zustande, wenn ich nicht spüre, dass da etwas ist. So etwas wie ein kleines Licht – irgendetwas, mit dem ich mich verbinden kann.»
    «Und was empfindest du stattdessen?»
    «Angst?»
    Der Mond hing über den schwarzen Drähten der Hopfengerüste. Der Mond war nicht christlich. Der Mond hatte nichts mit unendlicher, selbstloser Liebe zu tun. Der Mond war ein kalter Gesteinsbrocken und leuchtete nicht von selbst.
    Sie standen zusammen zwischen den Hopfenstangen, sahen entlang der Gerüstallee zu dem Wäldchen hinunter, und dann wandten sie sich einander zu, und Lol bekam gar nicht richtig mit, wie Merrily in seine Arme kam, nur dass sie auf einmal da war, ein kleines, warmes, bewegliches Tier, keine Heilige. Und ihr Mund war weich und feucht, nicht wie die Marmorlippen irgendeiner sakralen Statue, und in der Luft schwebte der Karamellduft von Heu.
    «Oh Gott», murmelte Lol, zauderte ein letztes Mal, dann neigte er seinen Kopf zu ihr hinunter, und ihre Lippen öffneten sich, ihre Brüste drückten sich an ihn, und ihr Atem vermischte sich mit seinem Atem. Ihrer beider Atem verschmolz ineinander, floss zusammen. Sie waren nur noch reine Energie, sie flogen die Allee hinunter, rechts und links huschten in der warmen,rauschenden Nacht die Hopfenstangen an ihnen vorbei. Und Lol spürte, dass seine Seele seit Tagen und Monaten und Jahren und Leben diesem einen Moment entgegengefiebert hatte   …
    … Und doch war es falsch.
    Es war unerträglich, niederschmetternd falsch.
    Es wurde kalt. Die Luft um sie herum wurde kalt wie das Mondlicht. Lol hörte die Holzgerüste knacken, als sei eine weitere Stange gebrochen. Es waren alte Stangen, einige waren umgefallen, und bestimmt waren viele andere unter ihrem Teeröl-Anstrich verrottet. Lol spürte Angst in sich aufsteigen, als er ein trockenes Rascheln hörte, das sein Verstand sofort in Bilder von spröden Hopfenzapfen an mumifizierten Ranken übersetzte. Er hörte das Summen in den Drähten und sah durch die schwarzen Galgen der Hopfengerüste zu den langgezogenen Wolken am grünlich schimmernden Nordhimmel hinauf.
    «Nein!»
, hörte er in der Stille, die ihn an die Stille im Aufnahmestudio erinnerte.
«Kommt da raus!»
    Merrilys Rücken fühlte sich unter seiner Hand kalt an, so kalt wie eine marmorne Grabplastik. Ihre Gesichter hatten sich voneinander entfernt, ein frostiger Hauch umgab sie, als wären sie in eine Gruft gefallen, und Lol wurde krank bei dem Gedanken, dass es falsch war, und grenzenlos traurig, weil er wusste, was das bedeutete.

37   Rebekah
    Kurz vor Mitternacht. Süßer, schwarzer Tee. Eine Strickjacke über ihren Schultern. Eine warme Sommernacht, doch sie fror immer noch unter diesem Mond, der jetzt pockennarbig und krank aussah.
    Der Eisentisch wackelte auf dem gesprungenen Fliesenboden von Prof Levins Hof. Quecken wucherten aus den Spalten. Sie saßen zu viert um den Tisch, Merrily zwischen Al und Sally Boswell, mit dem Rücken zur Heuwiese und zum Mond.
    «Ich habe Sie gerufen», erklärte ihr Sally. «Haben Sie mich nicht gehört? Ich habe auf der Lichtung gestanden und Sie gerufen. Meine Stimme  

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