Der Turm der Seelen
das Stadiumerreicht hatte, in dem es einfach unmöglich wurde, allein damit klarzukommen.
Eirion allerdings schien das anders zu sehen. Vielleicht hatte er einfach genug von der ganzen Sache. Aber vielleicht fand er auch, dass sie dieses Stadium, in dem sie unmöglich allein klarkamen, jetzt erreicht hatten.
«Im Grunde geht es um Schikane, Mr. Shelbone. Ihre Tochter ist von einem älteren Mädchen drangsaliert worden, das offensichtlich glaubt, es wäre … etwas ganz Besonderes.»
«Drangsaliert?»
«Eingefangen. Sie müssten eigentlich wissen, wovon ich rede. Besonders nachdem uns heute angedeutet worden ist, dass dieses Mädchen Amy vielleicht nur benutzt hat, um … na ja, um eigentlich Sie zu treffen.»
Mr. Shelbone schwieg. Wenn Eirion den Weihnachtsbasar erwähnte, würde er sofort auf Layla Riddock kommen. Am besten sagten sie nichts weiter, beschloss Jane. Sie sollten ohnehin so wenig wie möglich sagen. Sie sollten hier raus, vor Mom auf dem Bauch kriechen und sie entscheiden lassen, was jetzt zu tun war.
«Setzt euch.» Mr. Shelbone deutete auf das Sofa.
Jane sagte: «Wir müssen …»
Aber Eirion zuckte einfach mit den Schultern und setzte sich auf das Sofa.
«Und jetzt, mein Sohn», sagte Mr. Shelbone, «fängst du nochmal ganz am Anfang an zu erzählen.»
«Na ja», sagte Eirion. «Ihr Name ist Layla Riddock.»
36 Zusammenfluss
Lol verspannte sich. Hinter den Feldern ragte der Turm empor, genauso, wie er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, die Spitze seines Hexenhutes leicht schräg, als hätte ihn ein niedrig fliegendes Flugzeug gestreift. Er erinnerte sich, dass er damals an ein Märchenschloss gedacht hatte, als ihm der sanfte Lichtschimmer hinter den Fenstern aufgefallen war.
Durch die auch jetzt ein Schimmer fiel.
«Was ist?», fragte Merrily.
«Da ist …» Er ließ sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm sinken und atmete so heftig aus, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. «Entschuldige, es ist nur der Mond. Nur das Mondlicht, das sich in den Fenstern spiegelt.»
«Wofür hattest du es denn gehalten?»
«Wie wär’s, wenn wir jetzt umkehren?» Er sah sich nach dem Pfad um und sah die Stelle, an der er das letzte Mal den falschen Weg genommen hatte. Es gab dort einen Zauntritt, den er hätte nehmen können, um in einem Halbkreis wieder zurück zur Brücke zu kommen, und einen anderen Pfad, der in das dichte Wäldchen führte. «Merrily?»
«Sag mal, Lol, wie komme ich zu diesem alten Hopfenfeld? Auf dem du in dieser Nacht Stephanie gesehen hast.»
«Oh nein.» Lol stand mitten auf dem Pfad. «Das ist ganz bestimmt keine gute Idee.»
«Lol …»
«Merrily, jetzt mal ehrlich. Sind wir deshalb hier?»
«Du siehst doch», sagte sie. «Ich habe die Ausrüstung gar nicht dabei. Ich habe kein Weihwasser, ich habe keine Bibel. Aber ich kann beten. Ich kann die Worte sprechen.»
«Worte?»
«Worte, um sie hier wegzubekommen.»
«Wen?»
«Stock … und Stephanie. Du kannst es ja als vorbeugende Maßnahme betrachten.»
«Damit sie sich nicht an die Erde klammern, stimmt’s? Damit in Zukunft niemand, der einen unschuldigen Spaziergang über dieses Feld macht, plötzlich …», Lol erschauerte richtig, «… etwas sieht.»
«Versuchen muss ich es wenigstens, findest du nicht? Das ist meine Aufgabe. Ehrlich gesagt, tue ich alles, um mich davon zu überzeugen, dass das meine Aufgabe hier ist.»
«Seelen heilen»
, sagte Lol. Er spürte, dass sie kurz davor war zu weinen.
«Ja.»
«Die Seelen der Lebenden oder die Seelen der Toten?»
«Weißt du das denn nicht?»
«Merrily, das ist doch nur ein Ausdruck.
Seelen heilen
. Er klingt schön, aber was bedeutet er wirklich?»
«Es ist», sagte sie, «nur eine alte Beschreibung dessen, was wir tun – oder was wir tun sollten. Er legt nahe, dass wir heilende Kräfte haben, was nicht zutrifft, jedenfalls nicht auf die meisten von uns. Wir wissen einfach nur, wie man Gott nett um etwas bittet. Und ich wollte jetzt nur so etwas sagen wie: Bitte Gott, nimm die Seelen dieser beiden Menschen auf, hilf ihnen, die Fesseln der Besessenheit, des Zorns, der Lust und des Hasses abzustreifen. – Ist das so schlimm?»
«Das wolltest du schon tun, seit wir bei den Boswells weggegangen sind, oder?»
Sie muss etwas überprüfen
, dachte er. Stocks Tod muss sie zu der Frage gebracht haben, ob sie vielleicht weniger als Verstärker für das Gute als für das Chaos wirkt.
«Der
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