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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Geburtstag für Geschenke bin. Die Klinik, lieber Herr Hoffmann, hat lange hin- und herüberlegt. Wir alle kennen natürlich Ihre Vorliebe für klassische Musik – unter uns, die OP-Schwestern sprechen immer, wenn sie im Traumatologen-Saal Dienst haben und Sie zu einem Ihrer Lieblings-Violinkonzerte operieren, von der ›Sitzung mit Bruch‹.« Er räusperte sich, schien den Beifall abzuwarten und dämpfte ihn dann. »Da wir heute abend, wieIhre Frau mir schon zu verraten gestattet hat, noch in den Genuß eines klassischen Musikstücks kommen werden, haben wir, die Kollegen, Schwestern und ich, uns etwas anderes einfallen lassen. Auch Ihre Liebe zur Malerei und Bildenden Kunst ist ja im Klinikum bekannt, und so haben wir eine kleine Sammlung veranstaltet, aus der das herausgekommen ist, was ich nun aus dem Nachbarzimmer zu holen bitte.«
    Zwei Assistenzärzte gingen nach nebenan und kamen mit einem großen, flachen, sorgfältig verschnürten Paket zurück.
    »Papa auf ’m Thron der Unfallchirurgie«, wisperte Robert Christian zu, »und statt Zepter hält er ’n Skalpell …«
    Herr Adeling brachte die Staffelei herein. Wernstein hatte das Bild inzwischen bis auf eine Lage Seidenpapier von aller Verpackung befreit und hob es auf die Staffelei, die Herr Adeling mit einem riesigen Staubtuch und rasenden Wischbewegungen vom Kreidepuder gereinigt hatte. Wernstein trat zurück, Müller hatte energisch das Kinn gereckt und seine Lippen zu einem himbeerfarbenen Wulst geschürzt – eine allen Assistenten der Chirurgischen Klinik wohlbekannte Geste, mit der Chefarzt Müller das kurze Zögern zu beenden pflegte, das jeden Chirurgen vor dem ersten Schnitt in die noch unverletzte, blaß im Licht der Operationsstrahler liegende Haut befällt. Feierlichen Schritts bewegte er sich auf die Staffelei zu und zog mit einem Ruck wohldosierter Energie, dabei Richard, der aufgestanden war und nun vor ihm stand, maliziös anlächelnd, die Seidenpapierlage von dem Bild herunter. Es wackelte ein wenig, aber Herr Adeling, der die Staffelei gut kennen mochte und Müllers Prozedur mit gelüpften Brauen gefolgt war, hatte sich unauffällig dahinter plaziert und die Staffelei während Müllers Enthüllungsruck mit einer Drehbewegung, wie man sie bei einem Hustenanfall ausführt, um anderen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, mit der inzwischen weißbehandschuhten Linken verstohlen gestützt, während mit der noch nicht behandschuhten Rechten zwei trocken federnde Hüstler abzufangen waren, bevor offenbar dringliche Angelegenheiten Herrn Adeling in Richtung Vestibül eilen ließen.
    »Ein Aquarell eines unserer bedeutendsten Maler, des leider viel zu früh verstorbenen Curt Querner. Bitte sehr.«
    Richard Hoffmann, fast einen Kopf größer als Müller, war in sichzusammengesunken, die dunkelblauen Augen, die Robert geerbt hatte, blickten ungläubig.
    »Die ›Tauwetterlandschaft‹ – Herr Chefarzt, das kann doch nicht … das waren also Sie?«
    »Herr Wernstein war so freundlich, für uns in Börnchen vorzusprechen und dieses Aquarell zu erwerben.«
    »Aber … ich bin platt. Frau Querner hat mir gesagt, daß dieses Bild erst nach ihrem Ableben zu verkaufen sei … Es habe ihrem Mann so viel bedeutet … Und dann war es plötzlich nicht mehr da, es sei doch verkauft worden … Anne, komm her, unser Lieblingsbild!«
    »Unsere Überraschung für Sie.«
    »Aber«, Richard fuhr sich aufgeregt durch das kurzgeschnittene, sandfarbene Haar, das am Scheitelwirbel eine hellblonde Strähne trug, die an der gleichen Stelle auch Christian hatte, »– Herr Chefarzt, liebe Kollegen, das muß doch ein Vermögen gekostet haben! Das kann ich unmöglich annehmen!«
    »Wie gesagt, wir haben gesammelt, es hat sich verteilt. Übrigens bietet das Gemälde eine interessante Perspektive auch im Gegenlicht, gewissermaßen …«
    »Im Gegenlicht?« Richard stutzte, ging um das Bild herum.
    »Für Richard Hoffmann – von Curt Querner in Dankbarkeit«, las Müller vor. »Er wußte, daß Ihnen dieses Bild am besten gefiel. Ihre Frau und Sie seien zu oft ›drumrumgeschlichen‹, wie er sich ausdrückte. Wenn überhaupt jemandem, dann wollte er es Ihnen geben, und als Frau Querner von unserem Plan erfuhr, hat sie sich erweichen lassen.«
    Die meisten Gäste waren aufgestanden und drängten sich um das Bild. Christian sah, daß sein Vater bewegt war, als er seinen Kollegen aus der Akademie, einzelne beim Vornamen nennend und umarmend, die Hand zum Dank gab.
    »Nimm’s

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