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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Tisch gelegt, nickte zu Annes stockenden Ausführungen, die mit vielen Wiederholungen und tränenerstickten Beteuerungen darum baten, Christians Tat als Dummejungenstreich anzusehen. – Eben darüber sei er noch im Zweifel: Röbach bedauerte. Er habe Christians Akte von Direktor Fahner bekommen, und da weise doch das eine oder andere darauf hin, daß … Röbach schwitzte und warf lange Blicke auf Ulrichs Taschentuchmanöver. »Sie können das Fenster ruhig aufmachen, wenn Sie wollen«, sagte Barbara. Röbach wehrte ab: Nein, nein, da käme bloß die heiße Luft von draußen rein, und ebenso sei es mit Ventilatoren, auch die wirbelten bloß die ohnehin schon warme Luft durchs Zimmer, sorgten aber nicht für Kühlung. – »Ja, kühl sollte es schon sein zu dieser Jahreszeit, in einem Zimmer, einer Wohnung!« rief Ulrich. Die Leute in den Dresdner Plattenbauten schwitzten ordentlich, so sei das bei Beton und Asphaltfugen und Blechdach, und nur mit Kölnisch Wasser sei da gar keine Abhilfe zu schaffen … »Obwohl«, ergänzte er heiter, das eine Überlegung wert wäre, darüber müsse er mal mit seinem Kollegen, dem Technischen Direktor des Karl-Marx-Kombinates, so von Mann zu Mann und auf Augenhöhe sprechen: Kölnisch-Wasser-Duftstäuber in allen Neubauwohnungen. Es würde nicht viel nützen, fördere vielleicht bloß Allergien, Scherz beiseite: Wer dagegen ein Haus habe, könne sich glücklich schätzen, mit den neuen Dämmungsmethoden habe man es einerseits im Winter angenehm warm, andererseits im Sommer erfrischend kühl, schon die Vorfahren mit ihren Lehmziegelbauten hätten das gewußt, und im Kombinat hätte man dazubeziehungsweise neugelernt, schauen Sie. Ulrich nahm ein Stück Papier: Dies-ist-das-Haus-vom-Ni-kolaus, in einem Zug hatte er ein Haus gezeichnet, das aussah wie eine Laterne: »Ganz einfach, wenn man das Prinzip kennt.« – Ja,das müsse man freilich: Röbach schien noch mehr zu schwitzen, »daß Sie das so mir nichts, dir nichts können, so quasi aus dem Handgelenk, Sie haben wohl Erfahrung?« Er kenne dieses Spiel recht gut, es gebe wohl auch mehrere Methoden, so ein Nikolaus-Haus in einem Zug zu zeichnen; er baue ja ein Haus, ein richtiges, und leider sei es da mit dem Zeichnen nicht getan! Ulrich nickte: »Wenn man sich Handwerker zeichnen könnte, so Strichmännchen«, er nahm den Stift und kritzelte ein paar, einem gab er sogar eine Schubkarre, »die einfach nur ihre Pflicht tun«, – »Nicht wahr?« Röbachs Gesicht glänzte: »Aber woher soll man die nehmen und nicht stehlen? Und noch dazu modernen Dämmstoff?« Ja, wenn in der Wirklichkeit alles so einfach wäre wie auf dem Blatt Papier, wo man mit dem Bleistift einen Pfeil von den Strichmännchen zum Nikolaushäuschen ziehen könne! – »Ja!« lachte Ulrich, »so etwa!« und zog den Pfeil. – Aber Dämmstoff sei ja nicht alles, meinte Barbara, als Röbach den Hefter ein wenig vor- und zurückschob, dann die Hände darüberließ, ohne ihn zu berühren; das heiße: Das sei schon viel, aber man könne ja den Dämmstoff auch anders auffassen, wesentlich konkreter, sie habe da zum Beispiel, als Kürschnerin, die auch gelernte Schneiderin sei, ein paar sehr schöne Dämmstoffe eben dabei, »fühlen Sie mal!« und reichte Röbach einen Fächer Stoffproben über den Tisch. – »Aber wir haben Ihre Zeit sicher schon zu lange in Anspruch genommen«, sagte Arthur Hoffmann, es wirkte wie eine Klinge, die den Raum zwischen Röbachs Hand (noch in der Nähe des Hefters) und Barbaras Stoffproben zerschnitt; daß es doch Sonnabend sei, beruhigte der Kreisschulrat und warf einen Blick auf seine Uhr: Bis zwölf habe er keine weiteren Termine; jetzt, indem er das Handgelenk kippte und nach der Zeit sah, griff er nach dem Fächer, rollte den Stoff zwischen den Fingern; – »Vor allem jetzt im Sommer«, ergänzte Barbara, und es solle ja ein sehr heißer Sommer werden, man spüre es schon, und auch die Kunden spürten es, denn die Belüftungsverhältnisse in Anzügen aus Stoffen dieser Qualität; – Es seien noch zweiundzwanzig Minuten nach seiner Uhr: Der Kreisschulrat nickte; Arthur Hoffmann lüpfte den linken Ärmel seines Jacketts, zwei Armbanduhren kamen zum Vorschein, Stücke aus seiner weit über Landesgrenzen hinaus bekannten Sammlung, er löste eine davon, reichte sie dem Kreisschulrat: »Neunzehn Minutenpräzis, wenn Sie sich überzeugen wollen … verzeihen Sie, wenn ich offen rede: Ihre ist von Poljot, nicht wirklich schlecht, gedacht

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