Der Turm
so mehr an Hilfe für seinen Hausbau interessiert sein muß. Wem nutzt ein Kreisschulrat in Rente? Das werden sich auch die Handwerker sagen. Positiv.«
»Und wenn das Haus nun bis zum nächsten Jahr fertig wird?« warf Barbara ein. Ulrich lächelte wissend. »Wo denkst du hin, Flöckchen. Wir leben in der Planwirtschaft.«
TAGEBUCH:
Sonnenblumentapete, Preßspanplattentisch, beigefarbenes Telefon, an der Wand der Genosse Staatsratsvorsitzende, das verkniffene Konterfei der Ministerin für Volksbildung, gegenüber ein Makarenko-Porträt. Wir saßen im Halbrund vor dem Schreibtisch, und daß der Kreisschulrat aufstand, um die Jalousie vor dem einzigen Fenster herabzulassen, konnte ein Fluchtreflex des kleingewachsenen, kugeligen Mannes sein, vielleicht auch ein Versuch, Zeit zu gewinnen: sechs Augenpaare, die ihn erwartungsvoll, schmal, ängstlich, unruhig, abschätzend anstarrten, sechsmal Körperausdünstung an diesem heißen Tag, der seinen Zenit noch nicht erreicht hatte; Barbaras schweres und Ulrichs leichtes Parfum (Kölnisch Wasser, auch sein Brusttuch war getränkt, hin und wieder zog er es heraus, um sich damit über die Glatze zu wischen, auf der Anzugtasche ein Fleck, der langsam größer wurde) konkurrierten von den Seiten, und als der Kreisschulrat, der ein Schild mit dem Namen Röbach aus einer Schublade kramte, wieder Platz nahm, sagte Richard »Mein Sohn«, sagte Ulrich »Mein Neffe«, sagte Arthur Hoffmann »Mein Enkel«; dann sagte eine Weileniemand etwas, und Anne begann. – Ich saß und wartete, wie sie vorgehen würden. Es interessierte mich. Der Spinnenforscher, hätte Barbara gesagt, wenn sie in diesem Moment Sinn für die Abschweifung gehabt hätte: mich zu beobachten anstelle des Kreisschulrats. Sie waren ein wenig gemein, und nur Anne wußte das nicht (ich bin mir nicht sicher, aber hinterhältig ist sie nie gewesen, meine Schwester); deshalb ließen sie sie sprechen – natürlich auch, weil ihr Instinkt ihnen sagte, daß es größeren Eindruck machen würde, wenn die Mutter sprach: die sonst zurückhaltend war, jedenfalls vor all diesen präsenten, auf den vorderen Stuhlkanten hockenden, inneren Drang noch eben bändigenden Männern; selbst Arthur Hoffmann, nur wenig kleiner als Richard, aber aufrecht wie ein in Ehren entlassener Offizier, der die Last seiner Orden auf der Brust balancieren muß, selbst er, der lange dachte, bevor er redete, schien ungeduldig darauf zu warten, daß Anne fertig werden würde, als wäre es nicht die Mutter, die am besten für ihr Kind sprach; als sähe er, der erfahrene Offizier, die jungen Leute eine Spielplatztaktik anwenden gegen einen abgebrühten, Danaergeschenke auslegenden Feind. Richard und Arthur Hoffmann hatten einander kurz begrüßt, Umarmung Wange an Wange, knappe Unterhaltung über die Platzreservierung im Restaurant, kein »Wie geht’s?« oder »Lange nicht gesehen«, (eine Karte zu Weihnachten, das war alles, wie ich von Anne wußte, ein Vordruck mit Goldschrift und Engeln, die Unterschrift Arthurs wie gestochen, es war noch die Kerbe der Bleistiftlinie unter den Buchstaben zu erkennen); kein »Hallo, mein Junge« oder »Guten Tag, Vater«, sondern die wortkarge Verständigung, daß mit der Platzreservierung im Restaurant alles klargehe; dann gab Arthur Barbara die Hand, ignorierte zunächst Ulrichs dargebotene Rechte, nickte Barbara zu, liebenswürdig, zeremoniell, vertraut, und doch um Spuren betonter, als er Anne begrüßt hatte, Hut und Spazierschirm in der Linken. Ich hatte ihn seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen, er schien sich nicht verändert zu haben: das schlohweiße, dichte, geschorene Haar mit dem Wirbel wie bei Richard und Christian, die Goldrand-Bügelbrille, die Fülle seiner Blauaugen hinter den geschliffenen Gläsern, ein kühl-freundlicher Kornblumenblick; die bedächtigen, abgemessenen Gesten, die feingliedrigen Hände, die Richard geerbt hatte, und die mit den Uhren ohneSentimentalität umgingen, dennoch angemessen: ohne Glacéhandschuhe wie bei denen, für die Uhren, erst recht wertvolle, nur bestaunenswerte Schauobjekte waren; ohne die gedankenlose Rüdheit derer, die in Uhren bloße Gebrauchsgegenstände sahen und denen es gleichgültig war, was für ein tickendes Ding sie am Handgelenk trugen, wenn es nur seiner Funktion: die Zeit zu messen, möglichst genau und möglichst störungsfrei nachkam. Röbach unterbrach Anne nicht, obwohl er den Fall kennen mußte. Er hatte einen Hefter mit Christians Namen auf den
Weitere Kostenlose Bücher