Der Turm
spektakuläre Fälle vorstellte und Zuschauerfragen beantwortete. Joffe schriftstellerte und hatte in der Dresdner Edition zwei Liebesromane veröffentlicht, brillante Plädoyers, die dem Autor viel Schweigen einbrachten. Eschschloraque und Joffe haßten einander, und auch das Verhältnis zwischen Sperber und Joffe sollte nicht zum besten stehen.
»Du kennst Joffe?« Richard betrachtete Meno erstaunt und mißtrauisch.
»Ich habe eben über ihn nachgedacht. Es gibt ja nicht viele Juristen hierzulande. Er kommt manchmal in den Verlag.«
»Bekennender Kommunist mit einer Vorliebe für kapitalistische Sportwagen«, sagte Richard.
Meno blickte auf die Uhr. »Wir sollten uns beeilen; wir haben noch einen weiten Weg.«
Sie befanden sich über der Rosenschlucht; einige Türmchen und Zinnen von Haus Arbogast lugten daneben aus den Gespinsten, ein Plateau mit einer Hollywoodschaukel, unweit davon die Arbogastsche Sternwarte. Kein Mensch war zu sehen, die Brücke bis in die Ferne leer; die Fensterscheiben von Haus Arbogast fingen die späten Sonnenstrahlen und warfen sie in warmen Kupfertönen zurück. Es war fast windstill, der Alte vom Berge, dachte Meno, hätte gesagt: Die Luft kramte ein wenig in ihren Taschen; es gab Strömungen, Abendthermik, starken Moorgeruch aus der Rosenschlucht mit ihren Tausenden, in der Dämmerung brandig wirkenden Blüten.
– Der brandige, auf der Seite liegende Leib einer Riesin, die Beine halb schamvoll, halb lasziv angezogen, schrieb Meno, sie schien sich auf einen Arm zu stützen, geschmiegt an die Kurve, die die Brücke nahm; weiße und rote Inseln aufgebrochen auf dem Körper, und dies war zu hören: ein unablässiges, dunkles Summen, wie Trafo-Gebrumm, doch ohne das knackende An- und Abschalten; Myriaden von Bienen suchten die Rosen ab, ließen sie nicht gerinnen, wie es ihnen in der einbrechenden Dämmerungwohl zugestanden hätte, die rote, die weiße Flüssigkeit, Sud aus hundertblättrig geflochtenen Blütenkörben: zarte Materie, Häutchen, die aus alten, in Fragmenten sich äußernden Duftstoffen zu bestehen schienen: Narde, Schlachtfeldsüße, die im Moorgeruch gleichsam dünne Litzen bildeten, sich um die braun verrotteten Brückenpfeiler bemühten, wickenhaft emporkletterten – eine Vorhut von Rosen war schon unterwegs, entblößte schwengelhaft dicke Ranken –, gestärkt von Blütenballungen, die ihr Rot in den Zentren ins Purpurne trieben, überzogen von durchsichtigem Seim wie bei den Klebefallen der Kannenpflanzen, den sie, in der nicht mehr heißen, noch nicht zu kühlen Phase des Abends, im erwartungszitternden Stadium kurz vor einer Berührung entließen, einem Zustand des Schauders, unter den winzigen Gravüren von Insektenbeinen, aus denen der summende Faun der Bienen bestand; und ich mußte plötzlich, als der Farbton der von Rot satten, rottriefenden Wunden ähnelnden, Insektenschwärme ansaugenden Magnet-Blüten weiße Beimischungen erhielt – weiße Rosen, die ein für uns noch unspürbarer Wind aufgerührt hatte –, an einen meiner alten Lehrer denken, einen Chemiker, der die angehenden Zoologen an den Regalen seines Laboratoriums vorüberführte: Fuchsin-Präparate; Reginaviolett ›ist eine Bezeichnung für drei seit 1860 bekannte Teerfarbstoffe‹; Goldkäferlack: der über die ablandig rauschenden Blüten kippte und Feuernester aufglitzern ließ; Rokzellin, ein ›dem Echtrot nahestehender Azofarbstoff‹, mit dem die oszillierenden, wie getränkt wirkenden Strahlenpinsel die langsam auf- und abschwellenden Hecken lackten; wieder, als der Wind kehrtmachte, Güsse von Weiß inmitten der zu Tumoren geklumpten roten Rosen: Pikrotoxin, ›Giftstoff der Kockelskörner, bildet ein feinkristallinisches, weißes, äußerst bitter schmeckendes Pulver oder sternförmig gruppierte Kristallnadeln‹; oder waren es die Bienen, über und über bestäubt mit Pollen, die sich hoben und senkten und dadurch den Eindruck eines kreisenden, wiederholt ins Weiß entladenen Fließens erweckten –
»Sieh mal, da«, Richard wies an das Ufer der Schwarzen Schwester, die sich am Grund der Rosenschlucht, jetzt sichtbar, wie eine violett und teerschwarz schillernde Schlange wand.
»Die Statuen?«
»Ja. Möchte wissen, wem diese Wildnis gehört.« Richard zog das Jackett aus und warf es über die Schulter.
»Arbogast, nehme ich an. Liegt jedenfalls unter seinen Instituten. Früher soll es eine Rosenzucht gewesen sein, soviel ich weiß.«
»Soviel ich weiß, ist es das immer
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