Der Turm
»Sie sollten nicht darüber sprechen, Herr Rohde«, sagte er mit gutturaler, von eleganten Plädoyers und zahlreichen »Paragraph«-Sendungen geölter Stimme, »es gibt für alles eine Erklärung. Sie haben die Rohre gesehen. Nun, das sind Fernwärmeleitungen. Sie lecken ein wenig, es weicht Wärme ab, das ist alles. Im Winter haben wir hier schneefrei – und deswegen auch manch seltenen Vogel zu Gast. – Sie begleiten Herrn Hoffmann?«
»Ich gehe ein bißchen spazieren. Herr Hoffmann hat einen Termin bei Sperber –«
»Ich weiß«, unterbrach Joffe. »Übrigens, da ich Sie gerade treffe: Herr Tietze wird ja nächstens als Vertrauensarzt mit der Staatskapelle nach Salzburg fahren. Er sollte nichts für Frau Neubert unternehmen. Geben Sie ihm das zu verstehen.« Meno schwieg überrascht. Der Anwalt schien ungehalten über seine Begriffsstutzigkeit. »Herr Neubert gedenkt, sich mit Herrn Tietze in Salzburg zu treffen und ihm Geld für seine Frau mitzugeben, mit der Ihr Schwager befreundet ist, wie ich weiß. Dieses Geld sollte Herr Tietze lassen, wo es ist, wenn er sich Unannehmlichkeiten ersparen möchte.« Joffe blickte Meno prüfend an, schien die Wirkung seiner Worte auszukosten. Der Gesichtsausdruck des Rechtsanwalts wurde wieder freundlich. »Hat Herr Eschschloraque bezüglich dieser kleinen Angelegenheit«, Joffe wedelte mit der linken Hand, wie um lästige Insekten zu vertreiben, »dieserBlödsinn mit dem Komma, das er Ihnen unterjubeln wollte, na, Sie wissen schon.«
»Er hat sich mir gegenüber nicht mehr darüber geäußert.«
»Ah, sehr gut. Ich habe von der Sache gehört und mir gedacht, daß man Herrn Eschschloraque vor unüberlegten Schritten bewahren sollte. Rachsucht ist etwas Häßliches, finde ich, und eines Kommunisten unwürdig.«
»Vielen Dank.«
Joffe lachte, seine Schultern schuckelten dabei. »Naja, lieber Rohde. Man tut, was man kann. Schönen Abend noch.«
35.
Dresdner Edition
Wenn Meno zu seinen Laudes aufstand, fühlte er sich zerschlagen und müde. Nachts sanken die Temperaturen nur um wenige Grad. Schwüle waberte in den Gärten, vom Fluß kam kaum Kühlung. Sumpfgeruch luderte im Elbhang. Manchmal hörte Meno die Kaminski-Zwillinge lachen, ihnen schien die Hitze nichts auszumachen, abends gingen sie murmelnd, wie aus dem Ei gepellt in weißen Stoffhosen zu weißen Hemden, vor der Brüstung mit dem Adler auf und ab, vielleicht lernten sie für eine Prüfung. Wenn die Schwüle unerträglich wurde, schlief Meno im Gartenhaus, wusch sich an der Regentonne und lief zum Trocknen nackt, Gummischlappen an den Füßen, durch den Garten. Es gab erste Wasserrationierungen, der Rat der Stadt hatte Merkblätter anschlagen lassen, die sich an den Bäumen wie Perückenlocken krüllten: kein Abwasch unter fließendem Wasser, Autowäsche nur noch aus dem Eimer, Gartensprengen nur noch mit Gießkanne gestattet.
Er fuhr mit der 11 zur Arbeit. Schon morgens, wenn die Fahrgäste dichtgedrängt standen, roch es in der Bahn nach Schweiß (Dederonhemden, Zukunftsgedanken) und übermäßig aufgetragenem Parfum, alle Schiebefenster und die Oberluken wurden aufgerissen, Fahrtwind kühlte; auf der Strecke zwischen Mordgrundbrücke und Pionierpalast, wenn rechts die Ausläufer der Dresdner Heide die Straße säumten, atmete man würzigeLuft. Am Dr.-Külz-Ring stieg Meno aus und lief zum Altmarkt; im Häuserblock neben der Kreuzkirche, Mansarddächer, historisierende Architektur sozialistischer Stadtplanung, lagen die Räume der Dresdner Edition, man betrat sie durch einen von Tütenlampen erleuchteten Flur, in dem es nach Frau Zäpters Kaffee, Josef Redlichs Knaster und der Abluft aus dem Verlagskühlschrank roch. Josef Redlich litt in diesen Tagen. Mit grämlicher Miene steckte er den Lektoren Manuskripte in ihre Fächer, schloß in seinem Stübchen das Fenster, das auf den Altmarkt ging – zuviel Lärm, zuviel unbarmherziges Licht auf Schreibmaschinentexten, er hatte nichts übrig für derlei Präpariersäle, Mikroskope, Halogenscheinwerfer, schüttelte über Meno den Kopf: »Wollen Sie nicht noch das Stethoskop anlegen, Herr Rohde?« und wies auf Papierstapel, die kreideweiß unter Lampenschirmen lagen, aus denen Röntgenstrahlen zu stechen schienen. Der Altmarkt flimmerte in dieser Jahreszeit wie eine Salzscholle, auf der sich verendete Auto-Fische reihten; das seltsam schlitternde Geräusch der Straßenbahnen auf der Ernst-Thälmann-Straße brach das Verkehrsgebrumm zwischen Post- und Pirnaischem
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