Der Turm
hatte Möbel und Regale umgestellt, um die Verkleinerung der Wohnung auszugleichen, aber die entstandene verwinkelte Rückzugsecke machte Frau Honich neugierig, keine halblaut herausgepreßte Verwünschung konnte sie fernhalten; sie klopfte ans Regal, quetschte sich durch, fragte, als sie schon vor seinem Schreibtisch stand, ob sie nähertreten dürfe, lächelte dem gequälten Meno, der rasch seine Manuskripte verbarg, ins Gesicht. Was er da mache, wollte sie wissen. Er arbeite. Aber woran? Etwa an Lürik (sie zerrte das Ypsilon wie ein Gummitier nach unten), an Gedichten? Oh ja, natürlich an Gedichten, wie schön; aber die brauche er doch nicht vor ihr zu verstecken, sie finde Gedichte schau (nach diesem Backfischausdruck bückte sich Meno, um seine Wut zu bezähmen), ob er nicht … Oh ja! rief sie, er sei doch ein Fachmann, er verstehe etwas davon, er könne ihr bestimmt beibringen, wie man Gedichte schreibe! Das sei schon lange ihr Wunsch, und nun habe sie jemanden getroffen, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft, wenn das nichts zu bedeuten habe, neckte sie und drohte ihm schelmisch mit dem Finger. Sie wolle es lernen.
Am nächsten Tag hatte Meno die Kohleninsel angerufen und sich beschwert. Jedoch: Nach Satzung sowieso, war ihm erklärtworden, habe die Bürgerin Honich das Recht, den Balkon in seiner Wohnung mitzunutzen, und er dürfe ihr, wenn sie von diesem Recht Gebrauch zu machen wünsche, den Zutritt in die Wohnung nicht versperren. Warum es immer wieder Schwierigkeiten mit den Bewohnern der Mondleite Zwei gebe; man habe kein Verständnis dafür!
Ingenieur Stahl meinte, daß man sich wehren müsse, und drehte den Honichs regelmäßig die Sicherungen heraus. Dann saßen sie im Dunkeln, und die Schlagermusik (Oberhofer Bauernmarkt, Regina Thoss, Dorit Gäbler) trudelte zu Boden. Im Gegenzug drohte Herr Honich Ingenieur Stahl mit einer Klage, weil er Deutschlandfunk höre und wiederholte Aufforderungen, sich am sozialistischen Wettbewerb zu beteiligen, wiederholt mit Vergleichen aus der Tierwelt beantwortet habe; seine Frau Babett sei Zeugin!
»Du bist so in Gedanken, Mo.«
»Dies und das.«
»Ärger?«
»Nichts besonderes. – Wie geht’s bei dir?«
»Sie haben uns die Schichten verlängert. Ein Arzt und eine Krankenschwester sind ausgereist. Bei Richard gibt’s Intrigen. Einer der Ärzte scheint ihm nachzuspüren, der Parteisekretär. Den muß er einarbeiten. Man sieht es nicht gern, wenn Wissen sich ihrer Kontrolle entzieht, und in der Handchirurgie gibt es nicht so schnell einen anderen, der Richard ersetzen könnte, jedenfalls nicht in Dresden. Robert hat eine Freundin. Eigentlich ein bißchen früh, finde ich. Aber er weiß ja Bescheid über das mit den Bienen. Barbara hat den Kopf voll mit Hochzeitsvorbereitungen. Bei Ina ist anscheinend schon was unterwegs. Kuck mal, da.« Sie wies auf eine Reihe Windmühlen, die sich im leeren Land vor einem von azurgrünen Streifen aufgehellten Himmel drehten, wie in Zeitlupe, überschwärmt von Myriaden lautlos auf- und absteigender Krähen. Regine sagte nichts. Meno sah nach draußen.
»Erlauben Sie?« Rechtsanwalt Sperber deutete auf den freien Stuhl neben Richard, der üblicherweise für den Partner des Theaterarztes reserviert war. »Ihre Frau kommt ja nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
Sperber schmunzelte. »Man kennt seine Fälle, man kennt die Fälle der Kollegen. Und die Nöte von Freunden. Sie haben ja mit mir über Frau Neuberts Fall gesprochen … Oh, das verletzt keineswegs das Berufsgeheimnis. Ein gewisser Austausch ist notwendig, man muß sich abstimmen, will man den Staatsanwälten etwas entgegenzuhalten haben. – Wie finden Sie sie?« Sperber wies ins Zuschauerrund, das sich allmählich mit Gästen füllte; sie blieben an den Logenbrüstungen stehen, reckten im Parterre die Hälse, erwartungsfrohe, stolzerfüllte Gesichter; viele Besucher hatten Taschentücher in der Hand. »Ist das nicht eine Leistung, die unser kleines Land vollbracht hat?« fragte Sperber, ohne Richards Antwort abzuwarten. Die geläufige Wendung hieß »unser Staat« oder »unsere sozialistische DDR« (merkwürdiges Attribut, ging es Richard durch den Kopf, als ob es eine andere gäbe); »unser kleines Land« ließ Richard aufhorchen.
»Wenn Sie wollen, kommen Sie uns doch einmal besuchen, Herr Hoffmann. Die Einladung gilt natürlich auch für Ihre Frau«, beeilte sich der Rechtsanwalt hinzuzufügen. »Wir würden uns freuen, Sie näher kennenzulernen.
Weitere Kostenlose Bücher