Der Turm
haben Sie bewundert, als Sie das erste Mal zu mir kamen.«
Die Tür wurde geöffnet, der Generalsekretär ließ Barsano und dem Altbundeskanzler den Vortritt. Richard blickte zum Büfett, Kellner standen in Galalivree, verharrten in Verbeugung. Auf den damastgedeckten Tischen lagen einige Buttermesser mit abgerundeten Klingen. Richard erschrak, daß ihn, als er die Buttermesser und dann das helle, glänzende Gesicht, den von einem schneeweiß gestärkten Hemdkragen gesteiften Hals des Genossen Staatsratsvorsitzenden sah, die Vorstellung überfiel, wie gut solche Hälse zum Durchschneiden oder Hängen geeignet schienen, auch der des Altbundeskanzlers und Barsanos; dabei bestanden sie doch aus dem gleichen Material: verletzlichemMenschenfleisch, wie die Hälse der sogenannten gewöhnlichen Menschen, und obwohl sie so zart und saubergewaschen wirkten, hielt Richard doch unwillkürlich Ausschau nach einem Mal, das sie bezeichnete. Perfide, unerlaubte Gedanken!
»Ich kenne diesen Gesichtsausdruck zwischen Vergnügen und Schrecken, den Sie gerade haben«, flüsterte Sperber. »Das ist die Mimik des Verbrechens.«
»Sie scherzen, Herr Sperber?«
»Ich bilde mir einiges auf meine Menschenkenntnis ein«, der Rechtsanwalt lächelte flüchtig, »und Sie lieben das riskante Spiel. Es hat einiges für sich, hier eine solche Unterhaltung zu führen. Übrigens sind mir solche Gedanken keineswegs fremd. Die Angst vor dem Verbrechen, das sie begehen könnten, treibt junge Leute in meinen Beruf. Mich interessieren die Abgründe im Menschen. Ich habe eine ganze Sammlung.«
»Wie sammeln Sie das denn?«
»Nicht in Form geologischer Karten oder Bergschnitte, wie Sie vielleicht vermuten. – Geben Sie ihm nicht die Hand, wenn Sie ihm vorgestellt werden; er schätzt das nicht sonderlich. Er ist es, der die Form der Vertraulichkeit festlegt.«
»Die können einem leid tun.« Anne nickte in Richtung der Soldaten, die vor einem Panzertransportzug Wache standen.
»Was hast du vor?« fragte Regine, als Anne in ihrem Portemonnaie nachsah.
»Ich will ihnen zu essen bringen.«
»Aber das sind Russen.«
»Die frieren auch. Kommst du mit, Mo, allein kann ich nicht soviel tragen.«
Sie gingen in die Mitropa, kauften heißen Tee, Kartoffelsuppe mit Bockwurst und Semmeln; den Kessel schleppten Meno und ein murrender Kellner mit Zigarettenbrandlöchern im blütenweißen Jackett. Die Soldaten standen auf einem Außengleis auf der anderen Seite des Bahnhofs. Mißtrauisch, fast ängstlich tasteten sie nach ihren Kalaschnikows, als Anne ihnen die mitgebrachten Schüsseln zeigte. Meno sagte auf russisch, daß sie etwas zu essen brächten, zum Aufwärmen sei Tee da. Die Soldaten, Kindergesichter mit Stoppelschädeln und »auf Durst«geschobenen Käppis, blickten begehrlich auf den Kessel, zögerten aber, näher zu kommen; einer rannte nach vorn an die Spitze des Zuges, wo ein Offizier von einem Waggon gesprungen war und seine Tellermütze abklopfte. Sie berieten sich. Ein zweiter Offizier erschien, offenbar ranghöher als der erste, denn der erstattete Meldung. Der zweite Offizier nahm seine Tellermütze ab, kratzte sich am Hinterkopf, drehte die Mütze eine Weile in der Hand, kam langsam auf die drei Solidaritätshandelnden zu, wartete, ging zurück, klopfte an einen Waggon. Nach einer Weile erschien ein dritter Offizier, dem diesmal der zweite Meldung erstattete.
»Na, ich werde mal wieder an meinen Arbeitsplatz gehen«, sagte der Kellner. »Das darf ja wohl nicht wahr sein. Und außerdem hab’ ich grade erst ’ne Erkältung weg. Nischt für ungut.«
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte davon. Die drei sowjetischen Offiziere wechselten Blicke. Die Soldaten vor Meno und Anne standen reglos, mit ängstlich verschlossenen Gesichtern, hin und wieder musterten sie rasch die Schüsseln, Annes Mantel, Menos Schuhe. Der Kellner kam zwischen zwei Bahnhofsstreifen zurück. »Was gibt es hier, Bürger?«
Lautlos und unangekündigt rollte auf Regines Gleis ein Zug ein. Anne stellte die Schüsseln auf den Boden und wollte losrennen.
»Halt!« rief einer der Polizisten und nestelte an seinem Koppel herum. »Wo wollen Sie hin, Bürgerin?«
»Da sind Freunde von uns … der Zug –«
»Das ist der Kurswagen nach München«, sagte der andere Polizist. »Was haben Sie dort zu suchen?«
»Wir haben unsere Freunde begleitet –«
»Sie wollten wohl einen Fluchtversuch unternehmen!«
»Was?« brachte Meno völlig perplex heraus. Der
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