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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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erinnerte sich an die Stunden mit Meno vor den Saturniiden in der Karavelle; ein hilfloses, etwas tapsiges, aber doch rührendes Kind in einer Gesellschaft von Erwachsenen: so kam ihm der grüne Krug vor, den er ohne langes Suchen im Atelier einer Töpferin in der Neustadt gekauft hatte; ihm waren nur zwei Stunden Zeit geblieben zwischen der Ankunft auf dem Bahnhof und dem Beginn der Trauung auf dem Standesamt, und eine gute Stunde hatte er in einem »An- und Verkauf« verloren, ebenso verzweifelt wie unentschlossen, geschoben von gierig knuffenden Ellbogen, von einem unbrauchbaren Schneiderbügeleisen zum anderen reparaturbedürftigen (und trotzdem eine »2« vor dreimal Null teuren) Fernseher drängelnd. Der Krug hatte inmitten von Tapetenrollen und Eimern mit Wandfarbe gestanden, Pinsel weichten darin. – »Nein, diesen Krug, wenn er zu verkaufen ist«, hatte er abgewehrt, als die Töpferin, die sich erstaunt die Hände an der Schürze abwischte, ihm ihre Ware zeigen wollte – der Krug stammte nicht von ihr, aber sie war nicht beleidigt, obwohl Christian ohne Besinnen den Wunsch geäußert hatte, ihn zu kaufen; vielleicht imponierte ihr der Starrsinn, die Spontaneität, vielleicht seine Erklärung, daß er zur Hochzeit seiner Cousine unterwegs sei (er trug noch Ausgehuniform); sie hatte die Pinsel aus dem Krug genommen, ihn gespült und in eine verschmierte »Union« gewickelt; Christian hatte ohne zu zögern den geforderten Preis bezahlt. Am liebsten hätte er den Krug selbst behalten. Das Grün war das Grün der Stechpalmenblätter, diesen Farbton, dunkelsatt, schlackig, mochte er sofort, auch die einfache, uralte Form des Krugs bei subtiler Asymmetrie; irgend etwas daran hatte gesagt: Ich bin für dich, ich bin ein Stück von dir in einer anderen Welt. Christian kämpfte mit sich, erinnerte sich, als die Häuser des Lindwurmrings schon in Sicht gekommen waren, daß Meno einmal zu ihm gesagt hatte, daß man genau das schenken solle, wovon man sich am wenigsten zu trennen bereit sei. Er hatte Ina den Krug wie er war, in der verschmierten Zeitung, in die Hand gedrückt.

    »Der Nachteil wäre, daß wir wahrscheinlich mit jedem Loch vorliebnehmen müssen. Eine Kommilitonin von mir kennt jemanden in der Wohnraumlenkung, und es heißt, daß Lehrer bevorzugt behandelt werden. Mal sehen. Immerhin, es ist Berlin, und du hast ja angedeutet, daß es für Thomas aussichtsreicher sein könnte als hier.«
    »Ja, das wollte ich mit euch besprechen. Ich darf doch jetzt du sagen?« Richard zupfte Wernstein spielerisch am Ärmel des Fracks, den Barbara geändert hatte; man sah am Schnitt, daß Wernstein ihn geerbt haben mußte, und alle Lavendelessenz aus Barbaras Geheimkrämerei konnte den Mottenkugel-Geruch nicht überstimmen, der aus dem Schwalbenschwanz und den glänzenden Spiegeln stieg, die eine rosafarbene, schwarzgepunktete Fliege auf weißem Jabothemd einfaßten. »Solange Müller Chef ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß du auf einen grünen Zweig kommst. Grefe ist Assistent auf der Süd Eins, von da sind die meisten Karrieren gestiegen, solange ich bei Müller bin. Ich kann dir anbieten, in der Orthopädie für dich zu sprechen oder in Friedrichstadt; Pahl ist ein zugänglicher Mann, einer von uns.«
    »Dort wäre ich auch nur Assistent, ich würde nichts gewinnen«, sagte Wernstein nach einigem Besinnen.
    »Wenn sie die Unfallchirurgie von der allgemeinen abtrennen, und Pahl hat mir gesagt, daß sie seit einiger Zeit darauf hinarbeiten, wird er Chefarzt, und du könntest dich um eine Oberarztstelle bewerben. Allerdings müßtest du damit rechnen, daß sie bereits intern vergeben ist. Und in die Orthopädie willst du ja nicht, hast du gesagt.«
    »Du könntest die Stelle in Buch übernehmen.«
    »Da würde ich festsitzen, mein liebes Eheweib. Ich könnte mich nicht entwickeln. Sie haben ganz andere Forschungsschwerpunkte, und ich möchte mich in der Unfallchirurgie habilitieren. Darüber haben wir schon gesprochen, und wir müssen das nicht wieder aufkochen. Vor allem nicht heute.«
    »Du würdest bedeutend mehr verdienen als an der Charité.«
    »Mag sein. Aber ich wäre an der Charité … Sauerbruch, Brugsch, Felix, Frey, Nissen … Dort könnte ich weiterforschen. Hier läßt mich Müller hängen.«
    »Du wirst bald Vater, möchte ich dich erinnern. Du solltest deinem Sohn etwas bieten können, wenn dir schon deine Frau nicht so wichtig ist. – Jaja, wir kommen gleich!« rief Ina einigen Gästen im tieferen

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