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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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sondern rot, und Moskau ist weit!«
    »Unterlassen Sie doch Ihre ständigen feindseligen Anspielungen, Herr Stahl! Ich warne Sie, irgendwann wird das für Sie Konsequenzen haben!« Pedro Honich wandte sich wieder Ulrich Rohde und Helmut Hoppe zu. »Sie haben recht, es gibt Mängel. Ich bin nicht blind – auch wenn Herr Stahl mir das unterstellt. Aber bedenken Sie doch, was wir vorhaben, was unser Land geleistet hat, welche Ruinen zu beseitigen waren, und was es leisten könnte, wenn unsere Menschen … Diese Kinderkrankheiten können doch überwunden werden, gemeinsam können wir an einer Zukunft bauen, in denen wahrhaft sozialistisches Leben blüht –«
    »Wissense, was Wirdschafd is’?« Helmut Hoppe kippte einen Schnaps. »Ich will een Staubsauger – und kann mir aus fümf ’neen aussuchen, ooch wenn er aussieht wie meine Frau. Und wissense, was Blanwirtschafd is? Wenn’s nischema Staub gibt.«
    »Entschuldigung, aber das ist immer dieselbe Leier. Geht’s Ihnen so schlecht? Wenn ich mir das Essen auf dieser Tafel ansehe, die Geschenke für das Paar – und vergleiche, was wir früher hatten … Worüber beschweren Sie sich?«
    »Na gudd, da hammse räschd. Das schdimmd. Als ich junk war, da haddsch deilweise noch kee Audo … Und nach Guba gonnden meine Draudel und isch oo’ ni’ fahrn, da gab’s von Guba blos ’ne Guba-Grise.«
    »Ich hoffe auf Gorbatschow«, sagte Pedro Honich. »Ich glaube, das ist ein guter Mann.«
    »Offenheet, Klas-nosst! Wenn der so für Offenheet is’, na gudd, was wird denn schon geoffenheedet? Daß de Braungohle Dregg machd? Weeßsch alleene, das brauchsch ni’ noch inner Zei-dunk läsn! Und Berestroiga und Boddi lohschn beginn’ bloß beede mit B, wie meine Draudel sa-cht.«
    »Wenn alle Angehörigen der Arbeiterklasse so argumentieren würden wie Sie …«
    »Hörnse uff. Isch gomm aus’m real existierenden Betrieb, mei Härr. Un’ dorte verläufts Lähm folschndermasen: Die Leude arbeidn, und wennse Feierahmd ham, gibt’s nischd mehr indn Lädn. Also gehnse währnd der Arbeed einkoofn. Und isch, der Meesder, soll ihnen das verbiedn? Machsch dor selber so. Mir stell’n här, wasses ni’ gibt, und wenn’s was gibt, stell’n mer uns an. Und selbst dor Genosse Schdaadsradsvorsitzende sa-chte, aus unseren Betrieben is’ noch viel rauszuholn.«
    »Deshalb liegen die Probleme, wie sie liegen«, erwiderte Pedro Honich. Malivor Marroquin schlich vorbei, schoß Fotos. Helmut Hoppe stellte das Schnapsglas ruhig auf den Tisch. »Ich bin mehrmaliger Aktivist«, sagte er langsam und betont, wobei sich sein starker Dialekt verlor, »und was der Uli ist, der ist sogar Held der Arbeit. Wollen Sie mir sagen, wie’s in meinem Betrieb aussieht?« »Kommt rüber!« rief Kurt Rohde vom Balkon, »wer Tanzkönig wird, kriegt einen Kuß von der Braut, die Tanzkönigin einen vom Bräutigam!«
    Josta und ihr Mann brachen auf. Richard ging ins Gartenhaus. In einem Winkel küßte Robert eine von InasKommilitoninnen. »Laßt euch nicht stören, bin gleich verschwunden«, sagte er, nachdem er kurz gestutzt hatte. Er prüfte den Luftmatratzen-Aufpumpfrosch. Als er sich umdrehte, sah er, daß die Bluse des Mädchens verrutscht war. »Was Ernstes zwischen euch? Ich meine, ich muß das Schild an unserer Wohnungstür sowieso ändern. – Nehmen Sie die Pille?«
    »Sind Sie immer so direkt?« Das Mädchen ordnete verdattert ihr Haar. Robert griff in die Hosentasche und hielt eine Packung »mondo«-Kondome hoch.
    »Na, so genau wollt’ ich’s auch nicht wissen«, brummte Richard. »paßt aber auf, manchmal platzen die Dinger.«

    Ein gelber Lederhandschuh auf einer Zaunspitze, daneben ein Zettel in Folie: »Den anderen habe ich hier verloren, dem Finder auch der linke«, eine Schere auf dem Fensterbrett einer Garage, der rostige Nautilus am Philalethesblick. Christian sah zum Himmel, der sich von Süden mit dunklerem Blau überzog. Einige Jungs wollten Fußball spielen und losten um Namen: »Ich bin Pelé!« – »Quatsch, du bist Zoff und stehst im Tor!« – »Aber ich bin Beckenbauer!« – »Na gut, dann bin ich Rummenigge.« Männer hatten Wassereimer geschleppt, um ihre Autos zu waschen, verständigten sich über den Himmel, stemmten die Arme in die Seite. Andere standen in Hauspantoffeln am Straßenbriefkasten: Nicken, Abwinken, leichte Handrückenschläge gegen die mitgebrachte Zeitung. Die Ulmen entlang der Mondleite ballten ihr Grün, entließen es wieder wie alte Damen ihren

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