Der Turm
machen wir’s kurz, bevor jemand kommt. Ich krieg’ hundert Mark, oder –«
Richard sah in seiner Brieftasche nach. »Ich hab’ aber bloß fünfzig einstecken.«
Daniel stutzte, schien unruhig zu werden, dann fiel sein Blick auf Richards Armbanduhr. »Dann gib mir die da.«
»Nein.«
»Her damit!«
»Nein. Das ist ein Erbstück, soll mein Ältester mal bekommen.« »Lange und Söhne«, las Daniel mit schräggelegtem Kopf. »Jetzt krieg’ ich sie, sonst bist du in zwei Minuten tot, versprochen.« Richard starrte Daniel an. »Können wir nicht miteinander reden?«
»Kein’ Bock drauf. «
»Wir können uns auch mal treffen.«
»Gib mir die Uhr!«
»Na schön, Freundchen. Was sage ich meiner Frau, wenn sie mich nach der Uhr fragt? Sie hat gesehen, daß ich sie umgemacht habe.«
»Mir doch egal. Laß dir was einfallen. Sag ihr doch, sie wurde gestohlen.«
»Würd’s ja auch so ziemlich treffen.«
»Im Sachsenbad zum Beispiel. Beim Schwimmen an einem Donnerstag.«
»Und heute hab’ ich sie vor ihren Augen umgemacht? Junge.« »Dann wurde sie eben hier gestohlen. Vielleicht vom Bräutigam selber, bevor er nach Kuba abgedampft ist.«
»Dann würde ich doch sofort zu ihr gerannt kommen, und wir würden alles auf den Kopf stellen. Sie würde wahrscheinlich auch vermuten, daß du sie hast. Sie hat dich beobachtet, vorhin in der Kirche. Und glaubst du, ich merke es nicht, wenn mir jemand meine Uhr vom Handgelenk klaut?«
»Dann bringst du sie mir am nächsten Donnerstag ins Sachsenbad, dann kannst du sagen, daß sie dir dort gestohlen wurde.« »Dann kannst du mich hier nicht mehr erpressen. Und wenn deine Erpressung auffliegt, gehe ich womöglich in Scheidung – aber du vor den Jugendrichter.«
Daniel zögerte, brach einen Zweig ab, zerknackte ihn in kleine Stücke. Richards Wut verflog, jetzt hatte er Mitleid mit dem Jungen. »Wofür brauchst du das Geld eigentlich?«
»Hab’ Mist gebaut«, antwortete Daniel nach einer Weile.
»Weiß Josta davon?«
»Nein. Auch der Neue nich.«
Richard beobachtete den Jungen. Erpressung im Stimmbruch hatte etwas Komisches. Plötzlich machte Daniel einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn.
»Geh’ ich dor’ dursch de Säggs’sche Schweiz und find’ mich pletzlisch under eem ries’schen Felsen widder, so ä rischdscher Globber. Sa-ch ich mir: Wenn der ’nundergommt, den fängste dor’ ni’ im Ganzen off? Meno, drink was, dann gehn mer danzen!« Helmut Hoppe schwankte leicht, als er aufstand. Er holte eine Schnapsflasche, musterte die Gläser auf dem Tisch, als wollte er einen Parcours bestimmen, besah sich das Etikett, dann das Metallschnabel-Mundstück auf der Flasche, riß sie wie eine Fahne, die er dem Zugriff eines Feindes entzog, zur Seite und schwang Klares in rauschenden Kurven über die Gläser, Hosen und Schultern.
»Ich hab’ mich in deine Bücher vertieft«, sagte Meno zu Ulrich, der mit einem ironisch-abwartenden Brauenheben antwortete, während er einige Schnapsspritzer kostete, die er vom Anzug gewischt hatte, »also, wie ich es verstehe, ist alles letztlich eine Frageder Energie. Braunkohle ist unser Primärenergieträger. Aber an die muß man rankommen. Wenn ich die Tabellen in dem Papier richtig lese, kostet’s mehr Geld, eine Einheit Abraum wegzubewegen, als die gleiche Einheit Braunkohle an Ertrag einbringt?« »Wirtschaft«, setzte Ulrich an, aber Honich unterbrach ihn: »Wo haben Sie das gelesen?«
»In einer Denkschrift, die das Sekretariat für Wirtschaftsfragen beim ZK herausgegeben hat.«
»Für den Dienstgebrauch«, sagte Ulrich. »Das muß unter uns bleiben.«
»Aber sie werden über Reserven verfügen, von denen wir hier unten nichts wissen.« Honich nickte bestimmt. »Es ist manches schwer zu verstehen, aber die Genossen im ZK sind keine Dummköpfe, und wir haben bisher alle Schwierigkeiten gemeistert. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«
»– kostet mehr, als wir uns leisten können«, sagte Ulrich.
»Das meinen Sie doch nicht im Ernst?«
»Aber ich bitte Sie, das ist doch kein Geheimnis, fragen Sie doch mal in Ihrem Betrieb nach! Fragen Sie die Männer, mit denen Sie Ihre Übungen machen. Letztens war ich zu einer Sitzung in der Plankommission, da wurde genauso offen gesprochen!«
»Na, gibt’s wieder Nachhilfe?« fragte Gerhart Stahl im Vorbeigehen, als er die betroffenen, auch ängstlichen Gesichter sah. »Paßt bloß auf, was ihr sagt, der Himmel ist nicht blau, auch wenn ihr’s alle so seht,
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