Der Turm
werden angegriffen, unsere Republik selbst in ihrer Existenz in Frage gestellt. Aber was haben denn die Angriffe gegen uns zu bedeuten? Ich bin bei einem Förster in die Lehre gegangen und habe gelernt: Stirbtder Baum, schickt er all seine verbliebene Kraft in Früchte oder Zapfen. Mit solchen Zapfenstreichen haben wir es hier zu tun. Diese vielen Zapfen, mit denen gegen uns geworfen wird, sind Zapfen des Todes. Es sind Früchte des Zorns, einer untergehenden Gesellschaftsordnung anzugehören, es ist die Angstblüte des letzten Stadiums des Imperialismus. Man wühlt und wühlt und gibt sich nicht zufrieden, bis man einen Fehler gefunden hat. Und dieses Gift sickert immer wieder durch die Ritzen unserer Nachsicht, unserer Freundlichkeit! Von gewissen Leuten und Kräften hat man den Eindruck, daß ihre angebliche Besorgnis um die Entwicklung unserer Republik in Wahrheit nichts anderes ist als die unablässige und als solche eigentlich krankhafte Suche nach Fehlern und Dingen, um diese Entwicklung in Frage zu stellen. Sie brauchen gar nicht den Kopf zu schütteln, Kollege Eschschloraque, und Sie, Kollegin Schevola, sollten ruhig im Saal bleiben, damit Sie dann, wenn Sie dran sind, uns nicht das Wort im Munde herumdrehen. Unsere Gesamtpolitik und damit auch die Kulturpolitk hat sich bewährt. Die Kulturpolitik in unserem Lande ist keinen Schwankungen, keinen zeitweiligen Änderungen unterworfen; wir sind keine Konjunkturritter, die nach kapitalistischem Wolfsgesetz ihre Lügen verbreiten. Gewisse Leute führen ständig das Wort Wahrheit im Mund. Mit anklagendem Zeigefinger weisen sie auf uns. Aber von welcher Wahrheit sprechen wir denn? Von den hohen Auflagen, die Kollege Groth dank unserem unermüdlichen Einsatz – ein Einsatz nicht nur für sein Wohlergehen, sondern auch für das Wohlergehen aller Verbandsmitglieder – erzielt? Und zwar hüben wie drüben? Darf er nicht reisen? Im vergangenen Jahr hast du, Kollege Rieber, allein fünf Reisen ins nichtsozialistische Ausland beantragt – haben wir dir auch nur eine einzige abgelehnt? Ich sage das, weil es durchaus schwere Bedenken gab, dich reisen zu lassen. Deine Auftritte dort drüben waren von Ressentiments und Klischees bestimmt; immer wieder hast du die Leier von der Unterdrückung der Kunst und der Künstler hierzulande gedreht. Und warst immerhin so unterdrückt, dies mit unseren Devisen zu tun, versehen mit dem Reisevisum, das man im Schriftsteller-Volksmund, wie mir bekannt ist, den ›Fliegenden Koffer‹ nennt … Ist das keine Heuchelei? Aber lange Rede, kurzer Sinn.Wir sollten bei allen Entscheidungen, bei jeder Beurteilung politischer Ereignisse von einer einfachen Grundfrage ausgehen. Sie lautet: Wer gegen wen? Bertolt Brecht, ›Das Lied vom Klassenfeind‹, letzte Strophe, ja, gern, Genossen, erheben wir uns, Improvisationen stehen nicht im Protokoll, erfrischen aber das Leben; sicherlich können die meisten von uns Brechts Worte mitsprechen: ›Da mag dein Anstreicher streichen / Den Riß streicht er uns nicht zu / Einer bleibt und einer muß weichen / Entweder ich oder du / Und was immer ich auch noch lerne / Das bleibt das Einmaleins: / Nichts habe ich jemals gemeinsam / Mit der Sache des Klassenfeinds / Das Wort wird nicht gefunden / Das uns beide jemals vereint: / Der Regen fließt von oben nach unten / Und du bist mein Klassenfeind.‹ Das Wort hat jetzt Paul Schade.«
»Lieber Genosse Bojahr: Das war aber deutlich! Du nimmst mir fast ein wenig den Wind aus den Segeln. Aber nur ein bißchen. Kolleginnen und Kollegen! Den heutigen Vormittag habe ich damit verbracht, das Manuskript meines neuesten großen Poems, ›Buchenwald‹, Blatt für Blatt trockenzufönen. Die gestrigen starken Niederschläge hatten mir eine böse Überraschung bereitet! Sie waren durch das Blumenfenster in meinem Arbeitszimmer gedrungen, hatten sich auf verschlungenem, aber zielsicherem Weg vorwärtsgearbeitet und waren in meine Gedichte getröpfelt. Bei den Aufräumungsarbeiten fiel mir sofort der unheimliche Symbolgehalt dieses Vorgangs auf. Da das Blumenfenster – meine politischen Illusionen, den Unwettern des realen Sozialismus nicht standhaltend. Da meine Gedichte – meine und so vieler Genossen Vergangenheit. Ich hatte sie mit ›Barock‹-Eisengallustinte geschrieben, denn die Wissenschaftler in zweihundert Jahren sollen sich ja nicht über verblaßte Manuskripte ärgern, und war beim Wiederlesen der durchnäßten Zeilen mehr als sonst erschüttert. Wie konnte
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