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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Rieber und KollegeBlavatny nur deshalb vor dieses ›Tribunal‹, so beliebten Sie unsere Jahreshauptversammlung zu bezeichnen, ›gezerrt‹ wurden, weil sie Kommunisten sind, die das Denken nicht aufgegeben haben … Blavatny nennt mir gegenüber in einem Brief – wir wären wieder bei der Post – eine Kollegin ›Blubo-Bardin‹, weil in einem Gedicht von ihr Gräser und Boden vorkommen: Das darf ich Ihrer Meinung nach nicht als den beschämenden Unsinn kennzeichnen, als ehrabschneiderische Verleumdung, die es ist? Wo sind Ihre Maßstäbe, Kollege Groth, die Sie wiederum von uns einfordern? Zensur. Ach je. Wer die staatliche Lenkung und Planung auch des Verlagswesens Zensur nennt, braucht doch das Wort Kulturpolitik, um das er sich angeblich so große Sorgen macht, nicht in den Mund zu nehmen. Die Wahrheit ist doch, daß er sie nicht will. Kritische Schriftsteller sollen mundtot gemacht werden? Ich schaue mich um, sehe in so viele mir vertraute Gesichter – kein einziges ist darunter, das nicht zu einem kritischen Schriftsteller gehört. Aber es gibt kritische Schriftsteller, die hier in unserem Land und für unsere Gesellschaft wirken wollen und nicht bei jeder Kleinigkeit einem abgehalfterten Westkorrespondenten einen ›subversiven Text‹ – oder wie sich das nennt – zuspielen müssen, weil sie sonst nicht wahrgenommen werden würden … Kollege Blavatny, aus Nürnberg zu uns gekommen, wurde erst zu Hause nichts, dann wurde er auch hier nichts, weil man in einen Verlag eben nicht mit dem Parteibuch kommt, sondern mit einem Manuskript, das etwas taugen muß. Er lernte schnell. Abgelehnt von den qualifizierten Lektoren des Hermes-Verlags, dachte er sich flugs eine Geschichte von Unterdrückung und staatlicher Willkür aus, mäntelte damit seine mageren Produkte ein und bot sie drüben feil, wo man die dürftige Qualität natürlich ebenso erkannte, aber an Nachrichten aus der angeblichen Finsternis hierzulande immer interessiert ist. So stehen die Dinge, Kollegen. Die Schraube kann ein Schräubchen sein, das locker geworden ist, und die ganz kleinen Schrauben heißen, wie ich mich aus meiner Lehrzeit erinnere, Maden. Wir im Präsidium sind keine Freunde von rüden Tönen. Wir scheuen weder Auseinandersetzungen noch Offenheit. Die sowjetischen Genossen machen es uns vor, und wenngleich wir nicht alles nachmachen müssen, denn hin undwieder liegen die Verhältnisse anders, hin und wieder paßt eine Moskauer Mutter nicht auf eine hiesige Schraube, so besteht doch prinzipielle Einigkeit. Sanft sein zur rechten Zeit, das ist wohl schön, doch sanft sein zur Unzeit, das ist häßlich, denn es ist feig, sagt Hölderlin. Und schreibt Kollege Rieber in einem weiteren Brief, in dem er sich dafür bedankt, daß ich in einer Besprechung im Neuen Deutschland auf die Gefahren, die sein unzweifelhaft vorhandenes Talent bedrohen, aufmerksam gemacht habe … Er habe sich durch meine ehrlichen Worte gestärkt gefühlt, denn allzuoft tappe man, als einsamer Schreibtischarbeiter, der die Heimat des Verbandes nicht allzeit spüre, im Dunkeln seiner Not … Und da, werter Kollege, schreibst du anderswo, daß ohne den Westen bei uns kein Echo zu erreichen sei? Da muß ich dich der Lüge zeihen. Vernünftig vorgebrachte Fragen bekommen vernünftig vorgebrachte Antworten bei uns, das liegt im Wesen unserer Gesellschaft. Im Wesen unserer Gesellschaft liegt es ebenso, mit Schrauben sachgemäß umzugehen, denn sie ist die Gesellschaft der Arbeiterklasse, die mit Werkzeug und Produktionsmitteln vertraut ist. Sie werden, im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsordnungen, zum Befestigen gedreht, aber nicht verdreht oder gar überdreht. Wir bauen weiter nach unseren Plänen.«
    »Genosse Mellis, wir danken dir für deine festen und klaren Worte. Mit besonderer Herzlichkeit möchte ich noch einmal unsere Gäste begrüßen: Unseren Buchminister, Genossen Samtleben, und Genossin Winter von der Abteilung Kultur des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei. Bevor Genosse Schade in seiner Eigenschaft als Erster Sekretär des Bezirksverbands das Wort nimmt, seien mir noch einige Bemerkungen gestattet. Der Klassenkampf verschärft sich. Ein Rauschen geht durch den bundesdeutschen Blätterwald: Klassenkampf sei von gestern, und wir gehörten ins Museum. Ins Museum, Genossen! Und Kollegen. Dabei sind diese Hetztiraden das genaue Beispiel dafür, daß es keineswegs falsch ist, vom Klassenkampf zu reden. Die Errungenschaften unserer Republik

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