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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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den Beschluß, also, das Referat gehört, den Entwurf des Beschlusses, den der Vorstand der Vollversammlung vorschlägt. Wir kommen jetzt zur Diskussion. Es liegen eine Reihe von Wortmeldungen vor. Ich bitte darum, sich kurz zu fassen. Wir sind bereit, weitere Wortmeldungen entgegenzunehmen. Als erstes spricht David Groth.«
    »Das Referat des Kollegen Mellis mit den Angriffen gegen meine Kollegen und mich stand in unserem Zentralorgan, dem Neuen Deutschland, unter einem Brief, den der geschätzte KollegeLührer an den Genossen Staatsratsvorsitzenden richtete und in dem er die Kollegen Schevola, Blavatny, Rieber und Groth als Schädlinge und kaputte Typen zu titulieren beliebte. Ich fordere nun den Vorstand ausdrücklich auf, dafür Sorge zu tragen, daß meine sowie die Stimmen der mit mir angegriffenen Kollegen ebenfalls im Neuen Deutschland abgedruckt werden und wir uns ebenso öffentlich verteidigen können, wie wir angegriffen werden.
    Wir, die kritischen Geister, sind in diesem Land Untertanen auf Kündigung. Kritisch meint, daß wir der alleinseligmachenden Meinung der Partei dort zu widersprechen wagen, wo sie nach unserer Auffassung mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Sie, werter Kollege Mellis, sagen, daß es sehr wohl möglich sei, seine Meinung in unserem Land frei zu äußern. So steht es im Artikel 27 der Verfassung, der allen Bürgern, also auch Autoren, das Recht auf freie Meinungsäußerung zubilligt. Ich frage Sie aber, ob dies der Wahrheit entspricht. Die Antwort auf diese Frage kann, sofern man nicht völlig verdorben oder blind ist, nicht anders als Nein lauten. Es ist leider so, daß bestimmte Probleme, die uns betreffen, in den hiesigen Medien nicht debattiert werden. Daß bestimmte Bücher von unseren Verlagen nicht veröffentlicht werden. Wollen Sie das bestreiten? Machen Sie sich nicht lächerlich. Kein einziges Mal habe ich eine Erwiderung auf Schmähungen, wie sie Herr Lührer für notwendig hält, in einer unserer Zeitungen lesen können, kein einziges Mal in der Aktuellen Kamera eine Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse in unseren Betrieben, der Umweltproblematik, der zunehmenden Verrohung unserer Gesellschaft gesehen. Oder meinen Sie, all das existiere gar nicht? Dann sehen Sie mit dem Blinden Fleck, und mir bleibt nur, Ihnen zu dieser Leistung zu gratulieren: sie ist ein wissenschaftliches Novum. Sie, werter Kollege Mellis, wenden sich dagegen, daß ich Zensur und Strafgesetzgebung verbinde. Jeder Autor freilich, der ein Buch veröffentlichen möchte, das hierzulande nicht genehmigt wird, muß automatisch mit dem Devisengesetz in Konflikt kommen. Meine Kollegin Schevola und ich haben uns strafbar gemacht, weil wir uns einen Verlag im Westen für unsere Bücher gesucht haben, da sie hier nicht erscheinen dürfen. Ich finde es strafbar, daßunser Verhalten strafbar ist. Der Sinn einer solchen Kopplung von Zensur und Strafprozeßordnung kann nur darin liegen, Autoren, die sich mit Lügen nicht zufriedengeben wollen und sie auch Lügen nennen, mundtot zu machen. Oder wird man endlich gestatten, daß Schriftsteller in der DDR auch über Themen schreiben, die bisher oder schon wieder als tabu gelten? Wird man, statt kritischen Autoren ein Tribunal zu bereiten und sie mit Beleidigungen zu überziehen, sich lieber mit den kritisierten Zuständen befassen? – Noch ein persönliches Wort sei mir gestattet. Weder steht es mir zu noch entspricht es meinem Wesen, Sie moralisch belehren zu wollen, Herr Kollege Mellis. Sie suggerieren, daß es unmoralisch ist, im Westen zu veröffentlichen. Ich sage dazu nur, daß Autoren, die hier zum Schweigen gebracht werden sollen, ja gar kein anderer Weg offenbleibt. Unseren gepeinigten Kollegen in der Sowjetunion oder in Rumänien steht dieser Weg nicht offen. Nicht drüben zu veröffentlichen ist unmoralisch, sondern hier zensiert zu werden. Im übrigen: Wer in der falschen Uniform, unter falschem Abzeichen in ein falsches Lager geriet, sollte lieber nicht gegen die zu Felde ziehen, die damals in der richtigen Uniform, auf der richtigen Seite für die richtige Sache gekämpft haben. Ich brauche mich meiner Vergangenheit nicht zu schämen, denn ich wurde nicht nur meiner ›jüdischen‹ Nase wegen verfolgt. Nein, es geht in Wahrheit nicht um Devisenvergehen oder ähnliches. Es geht darum, eine bestimmte Literatur zu verhindern, diejenige nämlich, die von rosaroten Brillen nichts wissen will. Die Jahreshauptversammlung wird heute abstimmen

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