Der Turm
schlenkerten wie Dackelohren: »Du hättest tot sein können, Mensch!«
eine andere Stimme: »Der Turm hätte den glatt zerquetscht, wie ’ne Muskartoffel. Der saß ja weit oben. Komisch, so ’n Gerät koppheister«
»Wohl wahnsinnig geworden, was?«
»BV … Das ist ja ’n BV … Wie’s im Buche steht, ’n astreines Besonderes Vorkommnis, das Hoffmann da gebaut hat … Lebter?«
»– oder ersäuft. Wahrscheinlich hätt’s ihn nichmal zerquetscht, sondern in der Pfütze da ersäuft. Bin vorhin durch, war tiefer wie ich dachte. Scheiße, ist mir was in die Stiefel gekommen.« »Du meinst, Kopp unten?«
»Kopp unten, und er kommt ja gar nicht raus. Ich mein’, wer stemmt schon ’n Panzer hoch mit bloßen Füßen und nischt zum Gegenstemmen.«
»Aber findste nich’, ’s hätt ihn trotzdem zerquetschen können? Erst knack und dann gluckgluck.«
Dann stand Christian abseits wie ein Unberührbarer und erinnerte sich an eine Schulstunde in seiner Kindheit, wo die Lehrerin, als sie sich nicht mehr anders zu helfen wußte, ihn in eine Ecke des Klassenzimmers gestellt hatte (»Kopf zur Wand – und wehe, du rührst dich!«), erinnerte sich an das Tuscheln und leise Lachen, die schweißerregende Vorstellung, etwas könnte mit seinen Schuhen, Strümpfen, Hosen nicht in Ordnung sein, mit dem Hosenboden: hatte er etwa … war das Hemd am Rücken schäbig geworden und aufgeplatzt, sah er von hinten komisch aus (zum ersten Mal war er sich bewußt geworden, daß andere ihn von hinten sahen, einen Christian Hoffmann erblickten, den er selbst nicht kannte); vorne zerrten sie den Panzer, dessen Ketten immer noch mahlten, in die normale Lage zurück, dirigierten Trossen und den Bergepanzer – Christian dachte: Was wird das jetzt geben, was werden sie mit mir tun? Er pfiff ein Lied. Ob es auf diesem Bahnhof Vogelnester gab? Er hatte viel Vogelkot gesehen. Tauben. Er kramte in den Taschen, umschloß Taschenmesser, Streichholzschachtel, Wehrdienstausweis – undetwas Knisterndes, griesig Nachgiebiges: ein Tütchen Brausepulver, schon arg ramponiert, er riß es auf, schüttete sich den Inhalt in die hohle Hand, spuckte hinein und ließ es schäumen, schleckte, aß und fraß das nach Zitrone schmeckende Pulver, bis davon nichts mehr übrig war außer einem dünnen, nicht abzuleckenden Film Lebensmittelfarbe auf seiner Hand –
Richard wartete, bis es dunkel geworden war. Im Hochparterre des Hauses, eine der typischen Striesen-Blasewitzer »Kaffeemühlen«, brannte Licht, erhellte den Fußweg vom Gartentor bis zum Hauseingang; das würde es schwieriger machen. Richard zog die Arbeitsjacke über, die er in Lohmen trug, prüfte den Sitz der Turnschuhe, zog die Schnalle der Arbeitshose auf die Seite (er hatte gehört, daß Elektriker, die an Hochspannungsmasten arbeiteten, es so machten). Ihm fiel ein, daß es besser gehen mochte, wenn er sich von hinten heranpirschte. Er kletterte über die Gartenmauer, hangelte sich an einer Laube vorbei, sprang auf einen betonierten Weg. Der dunklen, gut gelockerten Erde der Beete daneben wich er aus, erste Blumen (Krokusse? Märzenbecher?) schimmerten darin; bleiche Geister. Ein Spalier an der Mauer. Der Fenstersims lief über seiner Reichhöhe. Das Spalier durfte er nicht benutzen, zu dünn waren die geschrägten Stäbe, und die Erde darunter war ebenfalls aufgelockert. Er tastete mit den Schuhspitzen unter einem Mauerpunkt, der ihm geeignet erschien. Eine Bodenplatte würde genügend Widerstand bieten, wenn er sich abstieße; die Platte bestand aus Granit, diffus beleuchtet vom Licht im Zimmer oberhalb des Simses: Kinderzimmer? Schlafzimmer? das wußte er nicht; oft aber lagen bei Häusern dieses Typs die Zimmer des Wachstums und des Schlafs nach hinten, zum Garten. Sonderbar, wie sich die Stille mit Geräuschen füllte, wie ein Trichter, der ansog und zuwenig durchließ; als warteten die Geräusche wie er in der Dunkelheit, lauerten auf eine Regung, verloren eher die Geduld, denn ihre Zeit mochte bemessen sein: ein knirschend ausrollendes Auto, Uhrenschlag aus den Lungen des Hauses, Gartenwispern, der Sandmännchen-Abendgruß aus einem Fernseher. Jetzt schrie ein Baby, verzweifeltes, müde protestierendes Schluchzen, es schien von der anderen Seite der Wohnung zu kommen. Jostas Kleines,dachte Richard. Los! Er sprang, erreichte den Sims nicht. Der Aufprall der Schuhsohlen auf der Bodenplatte klang unerwartet hart. Turnschuhe ausziehen? Und wenn er weglaufen mußte …? Machst du doch
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