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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Tietzes badeten, Herrn Unthan durch provozierenden Unglauben, was die Fertigkeiten des Großvaters betraf, zu Sätzen wie diesem hinriß: »Er starb arm, aber mit reichen Augen!«
    Auch Niklas hätte diese Platte, für den Freundeskreis Musik in der Schlehenleite, gern bekommen, Herr Unthan jun. aber schwieg zu allen Angeboten und schleppte, wozu er ein mit Bauernmalerei verziertes Tragjoch benutzte, Eimer um Eimer zu den Wannen und Duschen. Das Gemeindebad verfügte nur über zwei Kaltwasseranschlüsse, die über Schläuche mit einem Tank über einem Badeofen verbunden waren; für den Badeofen lag im Hinterhof von Haus Veronika ein bedeutender, von Plisch und Plum sommers vom »Framo«-Lieferwagen ihres Chefs abgekippter Briketthaufen, von dem, wenn der Winter lang, Herr Unthan stark beschäftigt und die Sintflut »nach uns« kühl war, seelenruhig gestohlen wurde.
    »Na, Meno, mal wieder zuviel Tinte an den Fingern?«
    »Und du, Niklas? Kolophonium abspülen?«
    »Naja, ich sa-che dir.«
    »Frau Knabe, ich hab’ das Badesalz vergessen, könnten Sie mir mal welches rüberschütten?«
    »Ist aber von drüben, Frau Fiebig.«
    »Aber das meine ich doch, von Ihnen drüben in meine Wanne rein. Wenn Sie so freundlich wären?«
    Gelächter, Stimmengesumm, Flüche und Witze! Klatsch und Tratsch aus Viertel und Stadt. Manchmal begann jemand zu singen, und meist sangen andere mit. Herr Unthan plagte sich mit dem Badeofen und dem Wasser ab (niemand kam auf die Idee, ihm zu helfen), und Meno hörte zu:
    »Die Geschichte von dem Minister sind Sie noch schuldig, Herr Tietze!«
    »Tja, Herr Kühnast, das war so.«
    Der Verteidigungsminister, der von Berufs wegen militärisch dachte, bekam, wie es bei Männern im fortgeschrittenen Alter nicht selten ist, ein Problem an einem Ort, wo Befehle nichtsnützen. Der Verteidigungsminister dachte nach und rief seinen Adjutanten.
    »Finden Sie mir den besten Spezialisten in unserer Republik!« »Der beste Spezialist für die Aufgabenstellung, Genosse Minister, sitzt in Dresden, Krankenhaus St. Joseph-Stift.«
    Er werde ihm, knurrte der Minister, doch nicht weismachen wollen, daß es in der ganzen Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik keinen Fachmann gleichen Ranges für das Manöver gebe!
    »Die Spezialisten haben einhellig diesen Namen genannt, Genosse Minister.«
    »Na schön. Dann bereiten Sie mal alles vor und holen den Genossen her.«
    Dr. Focke, der am St. Joseph-Stift als Leitender Urologe arbeitete, war, wie viele Urologen, ein zu Tobsucht und sprachlicher Direktheit neigender Mann.
    »Dann werde ich eben nach Dresden fliegen«, erklärte der Minister seinem Adjutanten. »Muß sowieso mal an der Militärakademie nach dem Rechten sehen. Lassen Sie in diesem Krankenhaus alles vorbereiten und machen Sie den Hubschrauber klar. Ich wünsche, daß dieser Focke mich übermorgen operiert.«
    Dazu erklärte sich Dr. Focke bereit. Er bitte um sofortige Übergabe aller Unterlagen. Ein Einzelzimmer stehe für den Herrn Minister zur Verfügung, das Kruzifix über dem Bett werde er jedoch nicht entfernen lassen.
    Der Minister, der viele Kompanien, Bataillone und Regimenter geführt, an der Ostfront als junger Offizier Offensiven befehligt und die Zuchthäuser der Nazis kennengelernt hatte, war, wie viele Militärs, ein zu Tobsucht und sprachlicher Direktheit neigender Mann.
    »Und so«, erklärte Niklas Tietze, indem er die hölzerne Rückenbürste glücklich in Richtung Kellerdecke stieß, wobei der Bürstenkopf, den man aus einer Kollektion gegen 20 Pfennig Bürstengeld mieten konnte, sich vom Stiel löste und ins benachbarte Duschabteil fiel, »und so kam es zu einem Kompromiß.«
    Er bestand nicht etwa darin, daß nun, wie jeder vernünftige Mensch hätte denken können, auf ein anderes Dresdner Krankenhaus ausgewichen worden wäre. Dr. Focke wollte daserprobte Team um sich haben, wollte sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren können und nicht »fremde Luft atmen«, wie er dem Adjutanten am Telefon erklärte. Immerhin handele es sich um den Minister! Dieser sollte, erklärte Niklas den verdutzt im Badewasser und unter tröpfelnden Duschen Lauschenden, über die Telefon-Mithörmuschel im Bilde gewesen sein und zuerst hochrot, dann grimmig lächelnd, die Muschel in der Hand quetschend und »nu sajaz – pogodi« grummelnd, auf- und abgestapft sein. Na warte, Hase!
    »Dann sah er sich eine Karte von Dresden an und tippte auf einen großen grünen Fleck.« Der große grüne Fleck, in

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