Der Turm
Timo.« Der vordere der beiden Brüder nickte mit dem Kinn zu seinem Zwilling, dessen Heiterkeit in ein einladendes Lächeln überging bei dem Wort »Unterscheidung«, das sein Bruder mit erklärender, jedoch nicht mokanter Handbewegung ausgesprochen hatte. Niemand erwiderte das Lächeln oder faßte es als Einladung zur Vertraulichkeit auf,als die es gemeint sein mochte; Libussa und ihr Mann saßen steif und stumm; Meno, der immer noch stand, blinzelte irritiert, setzte sich nach einem Blickwechsel mit dem Schiffsarzt, als Kaminski, vielleicht um das lastende Schweigen zu überbrücken, auf ihn zukam. Im Radio liefen jetzt Nachrichten; Christian hörte die Zehnminutenuhr in Menos Stube schlagen. Chakamankabudibaba war aufgewacht und äugte von seinem Liegeplatz mißtrauisch auf die beiden Brüder, deren blondes, unmethodisch über einige Wirbel frisiertes Haar jetzt von einwanderndem Licht getroffen wurde und wie Sonnenschaum wirkte.
»Oh, Sie haben noch zwei Stühle, das ist aber nett.« Der als Timo bezeichnete Zwilling wies in Richtung der Rosenwanne, neben der einige zusammengeklappte Gartenstühle lehnten. Stahl räusperte sich, legte das Messer klirrend auf den Teller. Die Verblüffung auf Langes Gesicht war der Empörung gewichen. »Dies ist ein Privatraum, wie Herr Stahl schon sagte, und ich kann mich nicht erinnern, Sie zu unserem Frühstück eingeladen zu haben! Wollen Sie die Freundlichkeit haben, uns Ihr Verhalten zu erklären, meine Herren? Sie befinden sich in der Wohnung von Libussa und Alois Lange, und es ist mir nicht bekannt, daß die Kommunale Wohnungsverwaltung irgendwelche neuen Verordnungen oder Zusätze zu bestehenden –« Der Schiffsarzt brach ab, Kaminski hatte rasch die Hand gehoben. »Irgendwelche neuen Verordnungen oder Zusätze sind auch nicht nötig, Herr Lange. Jedenfalls nicht, sofern Sie bestehende Mietverträge meinen.«
»Das ist ja Hausfriedensbruch!« polterte der Ingenieur. Timo Kaminski hatte die Stühle aufgeklappt und auf den Schachbrettboden unter der Sagopalme gestellt. Sein Bruder kramte ein Päckchen »Juwel«-Zigaretten hervor, hob schnüffelnd die Nase, fragte mit angedeuteter Verbeugung in Libussas Richtung, ob er rauchen dürfe. Sie nickte, sprachlos vor Überraschung, wie Christian schien. Kaminski ließ ein Feuerzeug klicken, zündete die Zigarette an, nahm einen genießerischen Zug. »Nein, um Hausfriedensbruch handelt es sich nicht, Herr Stahl. Dieser Begriff ist unangemessen … Sehen Sie, wir sind die neuen Mieter der Dachgeschoßwohnung in diesem Haus. Wir sind sehr glücklich darüber, diese Wohnung zugeteilt bekommen zu haben …Sie kennen die schwierige Wohnraumsituation. Und dann erhalten wir die Dachwohnung in einem ruhigen Haus in bester Hanglage zugewiesen … Können Sie sich unsere Freude nicht vorstellen? Und können Sie sich nicht vorstellen, daß man da nicht einfach so einzieht wie in eine x-beliebige Behausung, sondern sich erkundigt über die Verhältnisse hier, sich schlau macht so gut man kann, auf Ämtern, in Katasterunterlagen, und das natürlich auch über Sie, die zukünftigen Nachbarn? Das gehört sich doch so, nicht wahr? Man zieht nicht irgendwohin, sondern hierher, in dieses Viertel über Dresden, in die Mondleite, in den ehemaligen Besitz eines zu seiner Zeit weit über Landesgrenzen hinaus renommierten Herstellers feiner Seifen …«
»Was wollen Sie?« unterbrach der Schiffsarzt.
»Wir? Gar nichts wollen wir. Außer uns vorstellen, vielleicht, uns bekannt machen, einen Gruß auf gute Nachbarschaft ausrichten.«
»Und dazu brechen Sie in fremde Wohnungen ein, in unseren Wintergarten? Was ist das für Benehmen?« Libussa schüttelte entrüstet den Kopf.
»Einbruch in fremde Wohnungen?« René und Timo, der sich schon gesetzt und während der Unterhaltung mit einem Messerchen die Haut über den Halbmonden seiner Fingernägel zurückgeschoben hatte, wechselten erstaunte Blicke. »Einbruch? Hausfriedensbruch? Liebe Nachbarn – mit solchen Worten erwidert ihr unsere freundliche Vorstellung? Das ist nicht sehr fair. Das zeugt nicht von gutem Willen. Ich sagte bereits, daß wir uns kundig gemacht haben, liebe Frau Lange. Und in keinem Grundbuch, keinem Katasteramtsfaszikel, in keinem Mietvertrag steht zu lesen, daß dieser Wintergarten zu Ihrer Wohnung gehört und demzufolge Ihnen zur alleinigen Nutzung verbleibt. Das steht tatsächlich nirgendwo geschrieben, Sie brauchen jetzt nicht nachzusehen«, sagte René und hob abwehrend die
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