Der Turm
Haube, der den Konzentrationslagern des Dritten Reichs entkommen war und eine sozialistische Zoologie aufbauen wollte, der alle Studenten vor Semesterbeginn auf die Felder in der Umgebung von Leipzig schickte, um dort den vom imperialistischen Klassenfeind ausgebrachten Kartoffelkäfer bekämpfen zu helfen, der aber auch, in einer Prüfung, nach stundenlangen, hochnotpeinlichen Befragungen des Kandidaten, plötzlich die Brille über die zerfurchte Gelehrtenstirn mit den Burschenschaftlerschmissen schieben und angesichts einer Taufliege, die der Prüfling in letzter Entscheidung aus Knetmasse nachzubilden hatte: »Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen«, zitieren konnte. Bei keinem dieser Lehrer hatte man es einfach gehabt, Ungenauigkeit wurde unnachgiebig bekämpft, und Haube, der sozialistische Zoologe, hatte sogar einmal einen Assistenten versetzen lassen, der zweimal kurz hintereinander unpräzise Daten erhoben hatte: Er besitze kein Gefühl für die Würde seiner Arbeit, das müsse er, Haube, aus den Ergebnissen der aus Bequemlichkeit fehlerhaften Experimente lesen, wo doch strengste Genauigkeit die Liebe des Wissenschaftlers sei. Solche Assistenten könnten weder er noch der Sozialismus brauchen.
Meno griff nach dem Manuskript, das der Alte vom Berge der Dresdner Edition zur Prüfung gegeben hatte. Es würde Schwierigkeiten geben mit diesem Buch, das wußte Meno, das wußte Josef Redlich, Menos Vorgesetzter in der Dresdner Edition, das wußte der Verlagsdirektor, Heinz Schiffner, der einige Seiten las, die Eisbuschbrauen hob und langsam wieder sinken ließ, das Buch zuklappte und traurig den Kopf schüttelte; und das wußte auch der Alte vom Berge selber. Eine Erzählung über ein Bergwerk, in das der »Held« einfuhr, weil er den sirenenhaft lockenden Ton einer silbernen Glocke in der Tiefe gehört hatte. Schwierigkeiten weniger künstlerischer als ideologischer Natur; das alte Lied, das Meno nun seit einigen Jahren schon bis zum Überdruß vertraut war. Gutachten des Lektors, Außengutachten eines nicht im Verlag tätigen Lektors mit Publikationsempfehlung Ja oder Nein nebst Begründung der Entscheidung, dann ging das Ganze zum Zensor, und wenn der sich unsicher war, was in letzter Zeit wieder häufiger vorkam, ging das Konvolutbis zum Bücherminister oder noch höher. Eine zeitraubende, ehrabschneiderische Prozedur. Es fragte sich, wie der Alte vom Berge damit umging, und ob einer der Gründe, die ihn bewogen hatten, es bei der Dresdner Edition zu versuchen, in ebendiesen Zensurschwierigkeiten und der Hoffnung bestand, sie in der Hermes-Außenstelle umgehen zu können. Das würde ein Irrtum sein, den er dem Alten, der immerhin lange genug im Geschäft war, um sich keinen Illusionen mehr hinzugeben, klarzumachen haben würde. Meno wußte, daß er sich auf eine heikle Mission begab. Schiffner mochte diese Gespräche mit seinen Autoren nicht und schickte ihn, seinen Lektor, vor. Meno fand – und er hatte das auch einmal Schiffner gegenüber angesprochen, aber nichts anderes als einen Wutanfall seines Verlagsleiters damit erreicht, der ihm auf schlechtes Gewissen hinzuweisen schien –, daß etwas Unehrliches, vielleicht sogar Obszönes in diesen Gesprächen lag. Man unterbreitete dem Autor, welche Stellen aller Voraussicht nach beanstandet werden würden, und ließ ihn danach selbst entscheiden, ob und inwieweit er zur Zensur, das hieß: zur Selbstzensur, bereit war. Mancher nannte das einen fairen Umgang; doch zur Demütigung, daß man die Texte nicht druckte, wie sie waren, kam die Demütigung, daß man es auch noch dem Autor überließ, sie schrittweise abzutöten. Dem blieb dann keine Möglichkeit mehr, sich gegen gewisse Vorwürfe zur Wehr zu setzen: er selbst hatte ja seinem Text die Form gegeben, in der er erschien. Diese Praxis war in allen Verlagen gang und gäbe; aber Meno hatte Herzjucken dabei und empfand Mitleid mit den Autoren, und das nicht nur, weil er selbst Autor war. Es hieß, ihnen ein Stück von ihrer Würde zu nehmen. Meno haßte diese Gespräche genauso wie Schiffner; aber der war nun einmal sein Vorgesetzter. Er haßte sie vor allem dann, wenn die Autoren selbst – und das kam durchaus vor – gar nichts weiter an dieser Praxis zu beanstanden fanden, wenn sie im Gegenteil noch dankbar waren, daß sich der Verlag so kooperativ zeigte und Änderungswünsche ideologischer Art mit ihnen absprach.
Meno dachte an den Autor Lührer: Mit der unbefangensten Miene griff der zum Rotstift
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