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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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alle drei hinein, ohne auf Richard zu achten. Nach einigen Minuten klingelte er.
    »Es ist schön, daß Sie noch da sind«, sagte Frau Sperber. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«
    »Wo sind sie?« Richard drängte die Frau zur Garderobenleiste, an der Annes Mantel hing.
    »Im Keller. Bitte stören Sie nicht. Außerdem ist abgeschlossen. Mein Mann hat es nicht gern, dabei gestört zu werden.«
    »Im Keller?«
    »Ausgebaut und trocken, mit Bar und Kamin. Mein Mann liebt diesen Keller.«
    »Sagen Sie sofort meiner Frau Bescheid, daß ich auf sie warte und möchte, daß sie heraufkommt.«
    »Würden Sie mir helfen?« Frau Sperber winkte Richard in die Küche. Auf der Anrichte lag ein großes Bund Möhren. »Es gibt Möhrensalat, mein Mann ißt ihn so gern. Und ich komme mit diesen Schälern nicht klar. Wenn ich mehr als zwei Möhren kleinschnippeln muß, krieg’ ich lahme Hände.«
    »Verschonen Sie mich mit diesem Unsinn und sagen Sie meiner Frau Bescheid. Sofort.«
    »Das kann ich nicht. Zu dieser Tür hat nur er einen Schlüssel.« »Dann werde ich die Polizei holen.«
    »Herr Hoffmann – das sollten Sie lieber nicht tun. Erstens hätten Sie keine Chance gegen ihn. Zweitens ist Ihre Frau, so wie es aussieht, durchaus freiwillig mitgegangen.«
    »Und Sie?«
    »Wir führen eine moderne Ehe, Herr Hoffmann. Aufgeklärt und großzügig. Wir sprechen uns ab, und keineswegs will ich Ihnen hier als die Leidtragende vorkommen. Übrigens ist es mir lieber, wenn ich die Frauen kenne; ich kann dann besser einschätzen, ob sie ihm guttun. Ihre Frau ist sehr nett, ein ganz angenehmer, liebenswerter Mensch.«
    »Was Sie nicht sagen.« Richard versuchte vergeblich, auf einem der Barhocker um die zentral stehende Anrichte Platz zu nehmen, »Wo haben Sie diese riesige Dunstabzugshaube her?«
    »Kein Problem für meinen Mann. Er wollte eigentlich eine neue kaufen und diese Ihrer Frau geben, die sie auch bewundert hat, aber Ihre Küche ist zu klein. – Nebenbei, ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Hoffmann. Mein Mann spricht immer sehr achtungsvoll von Ihnen. Wollen wir nicht du zueinander sagen?« Sie wischte sich die Hände an einem mit Windmühlen bedruckten Geschirrtuch ab. »Evelyn.«
    »Ach, kommen Sie mir doch nicht damit.« Richard verließ das Haus. Er irrte durch die Straßen, geriet in die Ulmenleite. Die Kirche war noch offen. Pfarrer Magenstock übte Seilspringen. Richard sah eine Weile zu, Magenstock drehte sich langsam, schien ihn nicht zu bemerken, hüpfte schnell und flach, das Seil in geschmeidig pfeifender Bewegung, mit geschlossenen Augen auf und ab. Meditativ, dachte Richard. Und obwohl das Geräusch des Seilspringens hinter ihm gar nicht darauf hinwies, entdeckte er den Opferstock neben der Tür und verspürte das Bedürfnis, etwas zu spenden; fand aber, als er seine Taschen durchsuchte, nur das Zwanzigpfennigstück für Notfälle. Er warf es ein.
    »Ah, Herr Hoffmann«, Sperber geleitete Anne aus dem Haus, verbeugte sich vor ihr, »ich kann Ihnen etwas Erfreulichesmitteilen. Meine Bemühungen, Ihrem Sohn das Medizinstudium wiederzuverschaffen, werden sehr wahrscheinlich Erfolg haben.«

    »Na, Bruderherz?«
    »Robert.«
    »Kann man in dem Kaff irgendwohin gehen? ’n Eis essen?«
    »Hier gibt’s ’ne Kneipe. Wenn du ’n Bier willst.« Robert, der Bier trank, Robert, der Kleine – so war es immer gewesen, und so war es nun nicht mehr. Robert, der jetzt mit sattem Klick ein Sturmfeuerzeug aufspringen ließ und mit der Stichflamme über die Spitze einer »Cabinet« fuhr.
    »Vielleicht später.«
    »Daß du gekommen bist … schön.«
    »Mann, das hättest du früher nie gesagt. Das muß die Fahne mit dir gemacht haben. Gar nicht schlecht.«
    »Mach dicht, Ohrli.«
    »Na bitte.« Robert sprach scherzend über die Armee, er war bei den Sanitätern in einer Kaserne bei Riesa eingesetzt. »Schnarch- und Duckposten. Meine Güte, das ist doch ein ziemlich lächerlicher Verein. Links um, rechts um, gammeln, warten, verblöden und verfetten. Das kann man doch nicht ernst nehmen.«
    »Kommt drauf an, wo du bist.«
    »Irgendwas mußt du falsch machen, daß es dich immer so erwischt.«
    »Wie steht’s mit Ausgang?«
    »Jede Menge«, prahlte Robert. »Und für’s Leibliche ist auch gesorgt. Hab’ ’ne Hübsche in Riesa. Und du?«
    »Was sagst du zu unseren Alten?«
    »Gut abgelenkt, Bruderherz. Sind schon okay, da gibt’s ganz andere. Find’ ich gut, daß sie jetzt auf Urlaub sind. Endlich mal sturmfreie Bude. Mensch,

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