Der Turm
thronte, die Heftpflasterkrawatten trugen, ebenfalls maschinebeschriftet: Klassiker! Keine Selbstbedienung! Man hielt sich daran, denn die Vitrine hätte bei unbefugter Berührung eine andere Form von Stille erzeugt, auch mußten die Schlüssel, dachte ich, mit einem unsichtbaren Alarmsystem verbunden sein: dem ins Antiquariat ausgestülpten Sensorium des Fräulein Leukroth, vielleicht auch mit demWispern kratzend beschworener, petzender Hilfsgeister. Es mußte Montag sein, denn Dienemann Nachf. war privat, und privat hatte montags geschlossen, das kannte ich von den Bäckereien Walther und Wachendorf, von der Fleischerei Vogelsang, vom Schuhmachermeister Anselm Grün. Der Scheuerhader dampfte nicht, absichtlich mißachtet dörrte er ins Hellgrau einer Haifischflosse hinüber, die auf der Kokosmatte gestrandet lag. Kein eisiges Schweigen von drinnen, wenn jemand Fräulein Leukroth in ihrer Tintentätigkeit unterbrach und sich nach den Büchern im Glasschrank neben dem Schreibtisch erkundigte: Hinter einem Vorhang mit aufgedruckten moorgrünen Blumen standen, bewacht von Apothekenfläschchen, die Hermann-Hesse-Bücher des alten S. Fischer-Verlags, Leinen in verschossenem Blau, Goldprägung, Unger-Frakturdruck, und des Aufbau Verlags, Leinen in nachgeblaßtem Lindgrün, sandgelbe Schutzumschläge, Garamonddruck, und wenn ein Zug vorüberfuhr, übernahmen die Apothekenfläschchen das Erzittern, das seine Zackenstrahlen aus dem Kern von Fräulein Leukroths Schweigen schickte: Bücher von Hermann Hesse, mein Herr! und für Fräulein Leukroth, die nicht einmal den Kopf wandte, bedurfte es keiner weiteren Erläuterung. – Oh, Hermann Hesse, beharrte der Interessent; – Allerdings! und: Ich sage Ihnen gleich, sagte Fräulein Leukroth; – Die verkaufen Sie wohl nicht?; – Hören Sie, brach Fräulein Leukroth die Diskussion ab, nach Hermann Hesse! gibt es keine! Literatur mehr! und strich, während der Interessent hilflos die Schultern hob, weil er begriffen hatte, eine der üblichen Dresdener Würdigkeitsprüfungen nicht bestanden zu haben, sorgfältig einen überflüssigen Tintentropfen am Rand des Barock-Glases von der Stahlfeder. Und Sie, Herr Altberg, hörten zu. Und ich sah Ihnen zu, wie Sie die Bücher öffneten, sich mit den Angestellten unterhielten, Fräulein Leukroth zu Apothekenmischungen gegen Hautleiden und Strahlenkrankheiten aus dem Weltraum berieten, wie Sie Herrn Leukroth, der näher kam, sich wieder entfernte, wieder näher kam, einen Ihrer Essaybände in der Hand, ein Autogramm gaben, Sie schienen verwirrt, vielleicht hatten Sie sich nicht vorgestellt, selbst Gegenstand des Interesses von P. Dienemann Nachf. sein zu können; es rührte mich, daß ich Sie, einen meiner gestrengen Lehrer, für einen Moment unbeschwert sehen durfte. Viel haben Sie mir beigebracht – undwissen es nicht, nie habe ich es Ihnen zu sagen gewagt; denn ich kann nicht so tun, als ob ich Sie verstünde. Zu weit auseinander, vermute ich, liegen unsere Lebenseindrücke, die ich Erfahrungen ungern nenne, da ich nicht weiß, ob sich jemals etwas wiederholt. Ich sehe uns im Hausflur vor dem Antiquariat Dienemann stehen, Sie erzählten mir von den Anfängen der Deutschen Demokratischen Republik, von Ihren Hoffnungen und Träumen, vom Morgenrot, das Sie freudig begrüßten und für das Sie alles zu tun, zu geben bereit waren nach Tausendjähriger Finsternis. Sie schwiegen; ich lauschte. Schallplatten steckten festgefressen in den Wänden. Stimmen fanden nicht zueinander. Hecht du grüner Offizier: glitt durch Schleiflack- und Zwischenpforte, verschwand im Schrank neben Goethes Jupiterkopf, hinter dem Tisch, dessen ausladende Büchergaben den hölzernen Narren bekümmerten. Auch an diesem Schrank steckte ein Schlüsselchen: Romantiker, dto.! stand auf dem Heftpflaster. Und während Sie schwiegen, hob Fräulein Leukroth den Kopf und lauschte zurück: Machte sich auch niemand »ahnungslos zu schaffen« (so stöhnte die Angestellte in der Chiffonbluse leise, wenn sie einem Kunden gefolgt war, um zu sehen, was er trieb, und einen manisch und furchtlos in den zweiten Reihen, verborgen hinter ewigen Wiedergängern wie Zuchardts Stirb du Narr! – nie gelesen, notorisch vorhanden – oder Sinkiewicz’ Quo vadis?: dto., wühlenden Raubritter vom Geist namens Georg Altberg gefunden hatte); stand jemand etwa nicht den eingebürgerten Dresdner Besichtigungs-Meter entfernt von den Büchern, hielt respektvoll den Kopf schräggeneigt, um die Titel zu
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