Der Turm
soll doch jeder das tun, was er kann, und wenn er’s nicht kann, nützt auch Zwang nichts. Oh, schau mal hier, das ist hübsch«, sie hielt einige bestickte Topflappen in die Höhe, schüttelte aber den Kopf, als sie den Preis sah, »– und neue Cellosaiten braucht er auch, kannst du dich erinnern, wie das geknallt hat auf der Feier?War doch ein gelungenes Fest, oder? Deine Schallplatten hört Richard immer wieder.«
»Will er immer noch ein großer, berühmter Arzt werden?«
»Christian? Jaja, davon redet er manchmal. Mir gefällt nicht, daß er soviel Wert auf das ›groß und berühmt‹ legt; ich meine, Arzt sein ist doch genug, oder? Warum also groß und berühmt? Und wenn er nun nicht groß und berühmt wird, bricht dann für ihn eine Welt zusammen? Also, von mir hat er das nicht … Jetzt schau dir mal diese idiotischen Rührgeräte an. Ein Skandal, ein richtiger Skandal ist das. Hören Sie«, rief sie der Verkäuferin zu, die durchgefroren hinter einem Haufen bunter Plasterzeugnisse »für die moderne Hausfrau« stand, »jetzt werde ich Ihnen mal was zeigen!« Sie nahm ein Gerät, das aus drei ineinandergreifenden Rührbesen auf einem Drehteller und einer seitlich angebrachten Kurbel bestand, ließ die Rührbesen surren. Anne drehte schneller, die Rührbesen verhakten sich, und kein Vor oder Zurück konnte an diesem Zustand etwas ändern. Schließlich brach einer der Rührbesen ab. Anne warf die Überreste auf den Tisch. »Diesen Mist verkaufen Sie?« Die umstehenden modernen Hausfrauen brummten gefährlich.
»Sie haben das kaputtgemacht, nun müssen Sie es auch bezahlen«, rief die Verkäuferin. »He, Sie, unterstehen Sie sich, abzuhauen, Hilfe, Polizei!«
Ein Abschnittsbevollmächtigter kam. »Was ist hier los, Bürgerinnen?«
»Genosse ABV, die Frau da hat diesen Rührbesen zermurkst, und jetzt will sie nicht bezahlen!«
»Ich denke ja gar nicht daran, für diesen Pfusch auch nur eine müde Mark auszugeben, eine Unverschämtheit ist das, ich habe mir nur erlaubt, Ihre Ware auch mal zu testen, damit Sie sehen, womit Ihre modernen Hausfrauen auskommen müssen, Rührbesen, pah, fünf Umdrehungen, und es hat sich ausgerührt!«
»Bürgerin, Sie haben die Ware beschädigt, also hat die Bürgerin Verkäuferin Anspruch auf Schadensersatz.«
»Na, so was!« empörten sich ringsum moderne Hausfrauen. »Der Quark kostet einen Haufen Geld – und taugt nicht mal für’n Ollen übern Deez …«
»Aber das ist ja Aufruhr!« Der ABV zückte sein Notizheft.»Andererseits … Zeigen Sie mal her!« Er ließ sich einen Rührbesen geben. Dann den nächsten. Einer nach dem anderen ging kaputt. Die Verkäuferin geriet in Wut, begann den Ordnungshüter zu beschimpfen. Der geriet ebenfalls in Wut, schrie, daß auch seine Frau auf einwandfreie Kurbelrührerzeugnisse zur Herstellung vorweihnachtlicher Backwaren angewiesen sei; Meno zog Anne weg.
Also wirklich, würde sie sagen. Also wirklich, würde er antworten. Sie lachten schon.
Vor der Heinrich-Mann-Buchhandlung auf der Prager Straße stand eine lange Schlange; Anne, die eine Chance, eine ungewöhnliche, unangekündigte Lieferung witterte, fragte sofort, was es gebe: Der Mann vor ihr zuckte die Achseln und sagte, er habe sich nur angestellt, weil schon so viele vor ihm stünden, er lasse sich überraschen.
»Irgendein wichtiger Roman, ein Kunstbildband?« wollte Anne von Meno wissen, dann wurde gerufen, daß Wanderkarten geliefert worden waren.
In den Schaufenstern der Musikalienhandlung neben der HO Kaufhalle hingen ein paar wie nasse Bonbons glänzende Geigen, ein schmetternd goldenes Saxophon und eine Ukulele, drinnen hatten sie Gitarrensaiten, Kontrabaßstachel und ein gutes Dutzend frisch gelieferter tschechischer Violinkinnstützen (von denen Anne eine für Ezzo mitnahm, man konnte ja nie wissen), aber keine Cellosaiten, dafür gab es ein Schneidegerät für Klarinettenmundstücke, das Anne, da Robert nur eins besaß, sofort kaufte: Roberts Klarinettenlehrer hatte einen Bruder, der Oboist war, und der wiederum, wußte Anne, hatte Briefkontakt mit einem Cellisten der Berliner Philharmoniker, vielleicht ließ sich so etwas deichseln.
Sie liefen in Richtung Altmarkt zurück, mitgespült in Menschenmengen, die vom Hauptbahnhof und vom Leninplatz gekommen waren. Die Frauen unter Kopftüchern, viele Männer mit russischen Fell-Schapkas, grau und braun gekleidete, geduckt hastende Passanten, die in Richtung Zentrum zu den Geschäften unter den Betonklötzen der
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