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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Einweckgläser vorrätig« im Centrum-Warenhaus (man brauchte sie im Herbst, aber sie kamen im Winter, was sollte man machen, warten? das rächte sich immer), anderntags die Gummis für die Einweckgläser; »Haarföns eingetroffen« (diese bestimmte flunderförmige Sorte mit blauem Plastgehäuse und schwarzer Schnauze, die nach ein paar Minuten Düsenlärm nach verbrannter Fliege roch), oder»Alles für das Kind«: Babyflaschen aus Jenaer Glas, das beim Erhitzen nicht zersprang, Windeln, die nicht mehr als drei, vier Kochwäschen überstehen würden, Windelkochtöpfe, Windelkochthermometer, Milasan-Babynahrung, Schnuller, zwei, drei der modernen, unbezahlbaren Kinderwagen, die sich, eigentlich für den Export bestimmt, in eine belagerte Abteilung eines peripheren Kaufhauses verirrt hatten …
    »Mo.«
    »Anne.«
    Sie küßte ihn auf die Wange und nahm seine Hand, wedelte sie fröhlich auf und ab, als wären sie ein frischverliebtes Paar. Der Zettel: Er sah Annes rauh wirkende Schrift, ein Dutzend Zeilen untereinander, von denen erst ein paar abgestrichen waren; aber er mochte es, mit ihr einkaufen zu gehen, er interessierte sich für all die kleinen scheinbaren Nebensächlichkeiten, die man zum Abdichten des Alltags brauchte: Schnürsenkel, Staubsaugertüten, Knöpfe, der Stopfpilz (er hatte selten einen neuen gesehen in den Familien, die er kannte, überall waren es die brotbraunen, von unzähligen Nadelstichen zerwetzten Stopfpilze aus den Dresdner Müller-Nähmaschinenwerken des Vorkriegs), und Anne hatte ihn gern dabei, denn er murrte nicht auf diesen Streifzügen kreuz und quer durch die Stadt, er konnte sich für Kaffee-Filterpapiere interessieren oder für unterschiedliche Anzug-Stoffqualitäten, sie vertraute ihm, wenn er Kleiderschnitte beurteilte (das, erinnerte er sich, hatte sie schon als junges Mädchen getan), und sie fragte ihn, wenn es um Geschenke ging. Jetzt war Adventszeit, und wenn er die Gesichter der Frauen im Centrum-Warenhaus oder in den schlecht ausgestatteten Geschäften entlang der Prager Straße beobachtete, glaubte er, daß sie diese Zeit haßten: das Herumrennen nach ein paar lächerlichen Artikeln von in der Regel mäßiger Qualität, den Geschenke- und Striezelmarktrummel mit seinen Blechblaskapellen, Pflaumentoffeln, Bratäpfeln, Steifen Grogs, die quengelnden Kinder an ihrer Hand und Männer, die sich um all das nicht kümmerten, weil sie arbeiten mußten (aber das mußten die Frauen auch) oder auf ein Bier in ihrer Stammkneipe bei »Sport aktuell« oder Skatrunden saßen. Robert zum Beispiel wünschte sich neue Fußballschuhe, solche mit Schraubstollen, und Anneberichtete, während sie über den Altmarkt in Richtung Prager Straße gingen, daß sie Ulrich gefragt hatte, wo es solche Schuhe geben könnte, »er meint, am besten im Dům Sportu in Prag, da haben sie die von Bata, die sollen besser sein als unsere, aber wegen Fußballschuhen nach Prag …? Aber wenn ich’s mir recht überlege, warum nicht? Vielleicht erwisch’ ich dort auch was für Richard, und für Niklas vielleicht ein ordentliches Hemd, er trägt ja immer die gleichen, und die Manschetten sind schon so abgenutzt, mich wundert, daß Gudrun dazu nichts sagt, und seine Hosen müßten auch mal ausgelassen werden, die sind ihm doch viel zu kurz … Mal sehen. Vielleicht schaff ’ ich’s ja, nach Prag zu fahren. Du könntest mitkommen, wir fahren mit dem Auto und machen uns einen schönen Tag. Und du kannst Tschechisch.«
    »Das bißchen, Anne, das mir Libussa beibringt. Aber ich weiß nicht, ob ich Zeit haben werde.«
    »Fahren wir eben an einem Sonnabend.«
    »Was glaubst du, was bei Hrensko dann los sein wird. Und an den anderen Übergängen genauso. Kronen müßten wir auch noch tauschen.«
    »Wir haben noch zweitausend. Zweitausend nicht zurückgegebene, schwarze Kronen. Und im Dům Sportu sollen sie eine sehr gute Angelabteilung haben. Das wäre was für dich. Und für Christian.«
    »Wie macht er sich? Ich hab’ schon mit ihm über die EOS gesprochen, er scheint zurechtzukommen.«
    »Er ist momentan schwierig, und es ist nicht leicht, mit ihm umzugehen, er wird auch manchmal ausfällig … Er braucht unbedingt ein Paar neue Schuhe, und draußen in Waldbrunn gibt es doch nichts. Außerdem die Schule, weißt du, er muß viel lernen; manchmal denke ich, daß sie ihn überfordern, oder er sich, er hat ja hohe Ansprüche, und Richard gibt nicht nach … Ich frage mich oft, ob er nicht zu streng mit Christian ist, es

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