Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
regelmäßig über die neusten Versionen seiner Software oder seiner Apps informiert zu werden (samt den Angaben über die behobenen Fehlerquellen und die gesteigerten Leistungsmöglichkeiten), akzeptiert ein Mitläufer, der Ambitionen zum Überflieger hat, die Notwendigkeit, seinen Körper und seinen Geist selbst upzugraden. Da ihm suggeriert wird, dass man alles regulieren kann, indem man es in Module zerlegt, analysiert und adaptiert, verbessert er sich selbst mit zwölf Schritten oder anhand von 48 Gesetzen oder auf sieben Wegen oder in 64 Positionen. Die Messbarkeit der eigenen Fähigkeiten und ihres Steigerungspotenzials ist die entscheidende Grundannahme. Er trägt einen Sensor am Handgelenk, der ihm mitteilt, wie nahe er seinem selbst gesteckten Ziel schon gekommen ist, denn es existiert nur, was gemessen werden kann. »Die Datenbank ist sein Beichtstuhl, der Dienst an der Technik sein tägliches Gebet« in der zugespitzten Formulierung von Juli Zeh. Er tauscht seine Daten mit Millionen anderer User im Internet aus, auf Webseiten, die ihm administrative Hilfestellung leisten, indem sie die reale Konkurrenz des Arbeitslebens abbilden. Wie viele Energiepunkte haben Sie heute schon gesammelt? Wie viele Kilometer sind Sie schon gelaufen? Wie hat sich Ihr BMI seit letzter Woche verändert? Wenn der Selbstoptimierer von inneren Werten spricht, meint er seine Blutwerte. Er behandelt seinen Körper wie eine Maschine. In einer Welt, in der Arbeit zunehmend durch Automatisierung bestimmt wird, versucht sich der Mensch der funktionalen Zuverlässigkeit einer Maschine anzunähern. Er bildet sich ein, er könnte perfekt werden oder den Tod überlisten – berühmte Selbstoptimierer wie Timothy Ferriss oder Ray Kurzweil schlucken täglich eine halbe Apotheke an Nahrungsergänzungsmitteln und durchleuchten regelmäßig ihren Körper mit wissenschaftlicher Präzision, um das Altern so lange aufzuhalten, bis der Tod heilbar geworden ist. Der Selbstoptimierer ist ein heteronomes Wesen mit einem vermeintlich autonomen Trainingsprogramm; er verwechselt Schönheit mit Makellosigkeit; er will das Leben nicht genießen, sondern als Gewinner auf der Bühne bleiben.
Lohnarbeit ade
Es gab einen Malocher zu Beginn der Industriellen Revolution, dessen Arbeitsplatz Anfang des 20. Jahrhunderts verschwunden ist: das Pferd. Die Zahl der Arbeitspferde erreichte ihren Höhepunkt in England lange nach dem Einsetzen der Industriellen Revolution, im Jahre 1901, als 3,25 Millionen von ihnen zur Arbeit gezwungen wurden. (…) Doch die Einführung des Verbrennungsmotors ersetzte sie so rapide, dass 1924 nur noch zwei Millionen übrig geblieben waren. Es existierte stets ein Lohn, bei dem all diese Pferde weiterhin Arbeit gefunden hätten. Doch dieser Lohn sank so sehr, er reichte eines Tages nicht einmal mehr fürs Futter.
Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee, Race Against the Machine
Vielleicht sind die Selbstoptimierer Visionäre, die den kommenden Krieg zwischen Mensch und Maschine vorhergesehen haben und sich dafür wappnen? Denn während Sie diese Zeilen lesen, wird schon jemand trainiert, der Sie an Ihrem Arbeitsplatz ersetzen soll. Der Konkurrent ist nicht so intelligent wie Sie, dafür aber zuverlässiger, beständiger und billiger, zumal er weder ein Kaffeekränzchen noch eine Mittagspause benötigt. Er ist in der Lage und willens, Tag und Nacht zu arbeiten, er verlangt weder nach Sozialversicherungen, noch lässt er sich krankschreiben, und er dreht keine Däumchen am Arbeitsplatz, nicht nur weil er entsprechend programmiert worden ist, sondern weil er keinen Daumen hat. Natürlich gilt dieses Zukunftsszenario nicht für alle Berufe. Wenn Sie Ihr Geld als Geschäftsführerin, Klempner, Astrophysiker oder Friseurin verdienen, stehen Ihre Chancen gut, in absehbarer Zeit nicht ersetzt zu werden. Wenn Sie aber als Kassiererin arbeiten, sind Ihre Tage gezählt. Die Metro Group betreibt in Tönisvorst bei Düsseldorf einen real,- Future Store (die Zukunft wird grundsätzlich nur auf Englisch bespielt): »Angesichts der zunehmend komplexen Marktbedingungen gilt es für den Handel, Prozesse zu optimieren, Kosten zu senken sowie kundenindividuelle Angebote und Serviceleistungen zu etablieren. Innovationskraft und technologischer Fortschritt sind die Voraussetzungen, um diese Ziele zu erreichen – moderne Handelsunternehmen müssen Erfolg versprechende Ideen zügig umsetzen und innovative Technologien frühzeitig nutzen.«
Mithilfe eines Mobilen
Weitere Kostenlose Bücher