Der Überläufer: Tweed 3
ist der Mann, den ich Ihnen an jenem Abend im ›Marski‹ gezeigt habe.«
»Mich an Gesichter erinnern zu können gehört zu meinem Beruf.
Was hat das damit zu tun, daß ich im ›Hesperia‹ hinter Schloß und Riegel kommen soll?«
»Poluschkin ist meinen Leuten durch die Lappen gegangen. Ein böser Ausrutscher. Daß ich es nicht vergesse: bevor Sie mit mir zum Schiff fahren, müssen Sie sich einer Leibesvisitation durch meine Leute hier am Ratakatu unterziehen. Keine Waffen, keine Kameras.«
»Zuchthausmanieren!«
»Es ist Teil meines Abkommens mit Oberst Karlow.« Mauno wanderte immer noch wie ein wildes Tier im Käfig auf und ab.
»Wenn Sie mitkommen wollen, dann akzeptieren Sie die Bedingung. Es war Ihre Idee, nicht meine. Haben Sie Laila in letzter Zeit gesehen?« Er schoß die Frage ganz plötzlich ab.
»Sie hat ihren Job.« Zum erstenmal seit Jahren war Newman nahe daran zu erröten. »Sie schreibt Artikel, die Ihnen mißfallen«, fuhr er fort. »Haben Sie sie gesehen?«
»Nein.« Mauno blieb stehen und zündete sich einen Stumpen an, ein sicheres Zeichen dafür, daß er unter Druck stand. »Was ist also mit der Leibesvisitation?« fragte er.
»Wenn es der einzige Weg ist, hinzukommen …«
»Das ist es. Also stimmen Sie zur Abwechslung einmal einer Sache zu.« Er blieb bei seinem Schreibtisch stehen, öffnete eine Mappe und nahm drei Fotos heraus. Zwei davon waren Hochglanzabzüge, das dritte eine Reproduktion mit starkem Raster, offenbar von einem Zeitungsfoto abgenommen. Mauno legte sie vor Newman hin.
»Das sind die Russen, die Estland regieren. Oberst Andrei Karlow.«
Newman starrte auf das Brustbild eines Mannes in der Uniform eines Obersten des GRU. Hageres Gesicht, lebhaft, intelligent, die Augen blickten direkt in die des Betrachters. Newman, der ein vorzügliches Gedächtnis besaß, hatte den Mann nie zuvor gesehen. Was die Vermutung nahelegte, daß die Sowjets Wert darauf gelegt hatten, daß er nur selten fotografiert wurde. Taktvoll enthielt er sich der Frage, woher der Finne dieses Bild habe.
»Diesen Herrn kennen Sie natürlich.«
Oleg Poluschkin. Eng beisammenstehende Augen, ein schlaffer, böser Mund und derselbe ausdruckslose Blick, wie Newman ihn von der Bar im
Marski
in Erinnerung hatte.
»Das ist General Lysenko, Herr über alle baltischen Staaten.«
Mauno zeigte auf das körnige Foto. »Normalerweise befindet sich sein Hauptquartier in Moskau, aber er ist nach Leningrad übergesiedelt. Ihn werden Sie kaum kennenlernen. Aber Karlow wird seinen Namen möglicherweise erwähnen. Dann wissen Sie, von wem er spricht.«
Ein Soldat der alten Schule. Ein Bolschewik vom dicken Nacken bis hinauf zum Scheitel seines slavischen Schädels. Sogar auf dem schlechten Foto wurden das rauhe Wesen und die cholerische Natur des Mannes spürbar. Er blickte von der Kamera weg, wie einer, der aufmerksam zuhört. Mit dem war nicht leicht vernünftig reden. Ein Mann, der seine eigene Meinung zum Evangelium erhob.
»Karlow sieht bei weitem am intelligentesten aus«, äußerte sich Newman. »Ein Mann, der schweigen kann. Ein Einzelgänger.«
»Sehr scharf gesehen«, bemerkte Mauno, während er die Fotos beiseitelegte. »Und jetzt machen Sie, daß Sie wegkommen – ich habe zu arbeiten. Warum ich Ihnen diesen Gefallen erweise, weiß ich selber nicht …«
»Weil«, erwiderte Newman scharf und erhob sich, »Sie befürchten, daß ich, falls Sie es nicht tun, allein nach Tallinn fahre – und das ist genau das, was ich auch tun würde.«
In der Wohnung im Stockholmer Vorort Solna saß Magda Rupescu da und schwang das gekreuzte Bein, was Poluschkin sehr dabei störte, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagte.
»Neue Instruktionen aus Tallinn. Wir müssen alle unsere Bemühungen auf Dillon konzentrieren. Dazu die zusätzliche Aufgabe, in jedem Hotel nachzufragen und Helene Stilmars Aufenthaltsort ausfindig zu machen – was ich soeben getan habe. Treffer schon beim ersten Schuß. Sie wohnt im ›Grand Hotel‹. Ein Kurier liefert heute aus Helsinki ihr Foto. Nun, als du in der vergangenen Nacht Dillon nachgingst, schien er da ziellos umherzuwandern?«
»Den Eindruck hatte ich.«
Poluschkin antwortete kurz und hütete sich, ausschweifend darüber zu berichten. Wenn er zuviel redete, würde die Rupescu, die einen teuflischen Instinkt dafür hatte, wenn einer log, treffsicher auf die fünfundzwanzig Minuten lossteuern, in denen er Dillon aus den Augen verloren hatte.
»Dann war’s ein
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