Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Überläufer: Tweed 3

Der Überläufer: Tweed 3

Titel: Der Überläufer: Tweed 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
unerwartet. Ein Lehrer? Wenn jetzt Schule ist? Er war ein GRU-Mann in Zivil. Jeder unserer Schritte wird überwacht.«
    »Sie werden das in Ihrem Artikel schreiben?«
    »Natürlich nicht. Hier will doch nur jemand sicherstellen, daß uns nichts passiert, solange wir hier sind. Sind das dort vorn nicht die Türme der Festung?«
    »Imatra! Wir fahren nach Imatra!« rief Ingrid, die eine über ihren Schoß gebreitete Karte von Finnland studierte, während der Zug den Hauptbahnhof von Helsinki verließ. »Und Imatra liegt an der russischen Grenze …«
    »Ich weiß«, sagte Tweed und starrte aus dem Fenster.
    Sie hatten den Zug um dreizehn Uhr zehn erreicht, und Tweed hatte die Fahrkarten gekauft, ohne das Fahrtziel zu verraten. Ihre Reisetaschen waren in den Gepäcknetzen über ihnen verstaut.
    »Warum nach Imatra?« fragte Ingrid.
    »Weil es, wie Sie soeben darauf hingewiesen haben, an der russischen Grenze liegt. Wir werden bis zum Abend müde sein. Es liegt zweihundertfünfzig Kilometer östlich von Helsinki. Wir kommen um sechzehn Uhr achtundvierzig an. Ich lasse Sie im Hotel ›Valtion‹ zurück, wenn wir dort sind …«
    »Warum lassen Sie mich allein? Ich kann doch mit Ihnen mitkommen.«
    »Nicht ins Grenzgebiet, das geht nicht.«
    »Wie kommen Sie vom Hotel dorthin?«
    »Ich nehme mir ein Taxi. Vom Hotel bis zum Grenzübergang sind es nur etwa zehn Kilometer.«
    »Erwarten Sie, dort jemanden zu treffen?«
    »Sie stellen zu viele Fragen. Schauen Sie aus dem Fenster. Finnland ist ein schönes Land. Und hier zeigt es sich von seiner schönsten Seite. Der Herbst ist eine wunderbare Jahreszeit.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie und schaute hinaus.
    Am anderen Ende des Waggons tat auch Poluschkin so, als schaue er aus dem Fenster. Der Russe war nicht mehr als deutscher oder österreichischer Tourist verkleidet. Er trug einen Anzug, wie ihn die Finnen trugen, und auf seiner Nase saß eine Brille mit getönten Gläsern.
    Während der zweieinhalbstündigen Fahrt passierten sie die unendliche Vielfalt der finnischen Landschaft. In Anbaugebieten Stoppelfelder. Bis zum Horizont erstreckte sich das Land, hier und da der Farbtupfen eines einsamen Hauses. Überhaupt viele Farben, Blaßgrün, Rot, helles Rostrot, Ockergelb.
    Die Häuser waren aus Brettern errichtet und hatten häufig Spitzgiebel. Andere waren Bauernhäuser, einzelnstehende, große Gebäude mit Rampen, die zum Obergeschoß führten, Heim jener Menschen, die das riesige Land im Sommer bewirtschafteten und während der langen und dunklen Winter ihre Zeit in den Häusern verbringen mußten.
    Später folgte Wald, dunkelgrüne Mauern zu beiden Seiten des Bahnkörpers. Birken und Kiefern, gemischt mit immergrünen Fichten.
    Die Birken standen in vollem Herbstgold, wie über dem Erdboden schwebende Goldmünzen. Gelegentlich raste der Zug an einem flammendroten Strauch vorbei, der wie eine brennende Fackel in der Landschaft stand. Sechs Haltestellen gibt es bis Imatra, und während der ganzen Fahrt sagte Tweed kaum ein Wort.
    »Wir sind da«, sagte er, als der Zug sein Tempo verlangsamte, und erhob sich, um nach seiner Reisetasche zu greifen.
    »So nah an Rußland«, flüsterte Ingrid.
    »So nah, wie man ihm kommen kann – ohne die Grenze zu überschreiten«, stimmte Tweed zu.
    Der Bahnsteig von Imatra liegt hoch über der Stadt und dem umgebenden Land. Als sie ausstiegen, zeigte Tweed keinerlei Eile, zum Ausgang zu kommen. Er ging langsam den Bahnsteig entlang, während der Zug in Richtung Osten davonrollte. Bald würde er nach Norden schwenken und parallel zur Grenze auf Joensuu zufahren, die Endstation.
    »Welch schöner Tag«, sagte Tweed, auf dem Bahnsteig dahinschlendernd. »Sehen Sie die Wasserfläche dort? Der Saimaa-See.
    Der größte See Finnlands – heißt es zumindest. Es gibt so viele.«
    Poluschkin war in der Bahnhofshalle verschwunden und erkundigte sich am Kartenschalter nach den Abfahrtszeiten diverser Züge. Aus einem wolkenlosen Himmel schickte die Sonne ihre Strahlen herab. Tweed atmete tief die frische, belebende, wie Champagner prickelnde Luft ein.
    Noch ein Fahrgast ließ sich auf dem langen Bahnsteig Zeit, machte mit seiner Kamera Fotos vom Saimaa-See. Er war lang und hager, ein Mann Anfang Dreißig. Jetzt kam er, eine Zigarette im Mund, auf Tweed zu.
    »Haben Sie vielleicht Feuer?« fragte er den Engländer.
    In der Handfläche seiner Rechten, nah an seinem Körper, ließ er Tweed ein Faltkärtchen sehen. Kari Eskola.

Weitere Kostenlose Bücher