Der Überlebende: Roman (German Edition)
die Wand an, niemals hinaus auf die Terrasse, zum Schwimmbad. Du bist mit dem Webstuhl verschmolzen, er war die Fortsetzung deines Körpers. Es schien, als ob deine Hände am Webstuhl in ein Unendliches griffen.
Nach einigem Überlegen fragte Professor Jangor, ob sich an dem Tag, der dem Albtraum vorausgegangen war, etwas Besonderes zugetragen hatte.
Ich hatte Peter schon lange gebeten, nach unserem Schwimmbad zu sehen. Während seines Studiums hatte er in einer Firma gejobbt, die Umwälzanlagen für Schwimmbecken herstellte. Der Chlorgehalt des Wassers stimmte nicht, was nicht weiter schlimm war, wir benutzten den Pool nur selten. Leipzig liegt nicht auf einem Breitengrad, der ein Freiluftbecken unbedingt erforderlich macht. Peter kam ohne Anmeldung, du hörtest die Klingel nicht, er stieg über den Zaun. Während du bei der Arbeit warst, vernahmst du ein leises Pochen, das du gar nicht einordnen konntest und zunächst verdrängtest. Erst als es langsam lauter wurde, kamst du auf den Gedanken, dich umzuwenden. Peter klopfte an die gläserne Terrassentür, er musste dich schon eine Weile beobachtet haben. Niemand, auch ich nicht, durfte dir zusehen, wenn du an dem großen Webstuhl arbeitetest. Betrat doch jemand den Raum, hörtest du sofort auf zu weben. Du machtest erst weiter, wenn du wieder allein warst.
Peter hielt sich eine Zeitlang im Keller mit der Umwälzanlage auf, er überprüfte die Pumpen, sie taten ihre Schuldigkeit, aber die Dosieranlage war falsch programmiert, er stellte sie richtig ein. Aus der Druckmessung im Keller war zu folgern, dass die Filter im Becken verstopft waren. Peter erläuterte, er müsse sie reinigen, dann sei der Pool wieder völlig in Ordnung. Schon band er sich die Krawatte ab und zog die Anzugjacke aus. Du wusstest nicht, was du sagen solltest, als er sich auch noch der Schuhe und Strümpfe entledigte. Aber dabei beließ er es, er krempelte die Hosenbeine und die Ärmel seines weißen Hemds hoch, sprang mit dem Kopf voran ins Wasser und tauchte lange unter, um den ersten Filter loszuschrauben. Er holte nur kurz Luft und brachte auch den zweiten an die Wasseroberfläche. Mit Hilfe des bereitliegenden Gartenschlauchs reinigte er die Filter und setzte sie wieder ein.
Du reichtest ihm ein großes Badehandtuch, mit dem er sich abtrocknete. Die nasse Hose und das nasse Hemd behielt er an, er weigerte sich, das Handtuch mitzunehmen. Du hast ihn zum Gartentor begleitet, lachend setzte er sich mit seinen nassen Kleidern in den Wagen, er winkte dir aus dem offenen Fenster heraus zu, du winktest zurück und sahst ihm lange nach.
Die Tage nach dem Albtraum, den du mir gegenüber nicht erwähntest, hast du von früh bis spät vor dem Webstuhl verbracht. Du wolltest unbedingt das Portrait fertigstellen. Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals vorher mit mir über einen Gobelin, an dem du gerade arbeitetest, gesprochen hast. Du erzähltest, wie du es erreichen konntest, dass die schwarzen hohen geschnürten Lederschuhe glänzten: Du hast die schwarzen Fäden ganz sparsam mit grauen und weißen gemischt. Ich besitze keine solchen Schuhe. Du hast überlegt, ob du das Rot der Wollkrawatte, die unten ausfransen sollte – eine solche Krawatte würde ich nie anziehen –, im Sonnenuntergang auf dem Bild im Bild aufnehmen solltest.
Während der Fahrt nach Hause beschriebst du ein zweites Erlebnis. Du nahmst ein Schaumbad. Du wusstest nicht mehr, wie lange du in der Wanne geschlafen hattest, du wachtest auf, weil dein Kopf tiefer gesunken war und du schon Wasser im Mund hattest. Du wolltest dich mit den Händen auf dem Wannenrand aufstützen und dich hochziehen, aber du brachtest die Arme nicht aus dem Wasser. Ebenso wenig gelang es dir, die Beine anzuziehen und den Oberkörper aufzurichten. Im Gegenteil, du versankst, die Wanne war der Einstieg zu einem riesigen unterirdischen See. Lautlos glittst du nach unten ins Dunkle, ganz oben blieb ein heller Lichtschein sichtbar.
Als du aus dem Traum aufwachtest, konntest du, wie im Traum, die Arme nicht heben und die Beine nicht anziehen. Es glückte dir jedoch, den Stöpsel herauszuziehen, so dass das Wasser abfloss und die Gefahr zu ertrinken gebannt war. Du begannst zu frieren, als du immer stärker zittertest, gewannst du die Kontrolle über deine Arme und Beine zurück.
Du warst sicher, dass in deinem Körper etwas vorging. Er kündigte dir an, dass er dich im Stich lassen wollte. Du würdest nicht mehr weben können.
Supply a (real)
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