Der Überlebende: Roman (German Edition)
Ziffern gekennzeichnet. Zu meiner Irritation konnte ich auf den Tischplatten keine Fugen erkennen, die Maserung des Holzes schien sich ewig fortzusetzen.
Die Beine hatten dir den Dienst verweigert. Zuerst glaubte ich, du wolltest nur nicht zugeben, dass du im Bad ausgerutscht warst. Du hattest dir die Hände aufgerissen, du versuchtest noch, dich an der Eiche festzuhalten. Später habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Eiche fällen zu lassen. Ich habe schließlich davon Abstand genommen, unseren um den Baum im Bad herumgebauten Bungalow in Markkleeberg zu verstümmeln.
Du erzähltest, wie es begonnen hatte. Du warst in der Nacht aufgewacht, ich war nicht da, du wolltest nach dem Radiowecker auf dem Bord über dem Kopfende des Betts greifen. Aber du konntest den rechten Arm nicht heben. Du dachtest, du träumst. Du machtest die Augen zu und öffnetest sie wieder. Nach wie vor warst du nicht dazu fähig, den Arm anzuheben. Du bist in Panik geraten, dir schoss durch den Kopf, dass du vielleicht einen kleinen Schlaganfall gehabt hattest. Deine Gedanken waren blockiert, du kamst nicht darauf, einen anderen Körperteil zu bewegen, den Kopf zu drehen oder ein Bein anzuziehen, es musste der rechte Arm sein. Du hast dich unglaublich angestrengt, und es schien dir schließlich doch zu gelingen, den rechten Arm zu heben. Doch du warst nicht in der Lage, nach etwas zu greifen. Du sahst, wie dein Arm krampfhaft zuckte, dabei spürtest du ihn nicht. Im bläulichen Licht des Radioweckers konntest du nicht entscheiden: Hobst du den Arm zur Decke – oder kam die Decke herunter?
Später standest du auf, du warst fähig zu laufen. Du irrtest im Haus umher. Danach schliefst du wie ein Stein, und am nächsten Morgen war alles in Ordnung. Du wachtest auf und griffst sofort hinter dich nach dem Wecker. Du glaubtest, du hättest alles nur geträumt, denn auf deinem Irrgang durch das Haus warst du auch ins Esszimmer geraten, du hattest gesehen, dass unser schwarzer Esstisch einen Riss hatte, er war in zwei Hälften geteilt, wenn du hingefasst und die Teile, die sich gegenseitig stützten, verschoben hättest, wären sie umgefallen. Am Morgen war der Tisch völlig unversehrt. Du erklärtest Professor Jangor, dass du sonst nie Albträume hast.
Ich mochte die Art nicht, wie Professor Jangor dir zuhörte. Er zeigte nicht die geringsten Anzeichen von Eile oder Ungeduld, niemals blickte er die große eckige Uhr auf der Rückwand des Hörsaals an. Aber es geschah nicht aus Anteilnahme oder weil er dir seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Dein anspruchsvoller Fall diente ihm dazu, seinen Geist zu schärfen.
Professor Jangor wusste von deinen Gobelins, er konnte sich an das Plakat einer Galerie erinnern, in der du eine Ausstellung gehabt hattest. Er fragte dich, ob du beim Weben eine Veränderung spürtest. In diesen Tagen hattest du den großen Gobelin beendet, der mich auf einem Stuhl sitzend zeigt. Unentschlossen spreize ich die Beine, die Hände halte ich ratlos im Schoß, ich blicke aufmerksam, aber nicht fixiert, wie es sonst meine Art ist. Du hast mich mit lauter Gegenständen umgeben, mit denen ich nie etwas zu tun habe: ein Kohleeimer und eine Kehrschaufel, Bugholzstühle um einen Tisch mit ebensolchen Beinen, Blumenstöcke in Töpfen, Modelle von Segelschiffen, Spielzeughäuser, eine hölzerne Katze, kleine Staffeleien mit kleinen Portraits, große Bilder von schneebedeckten Bergen und der Akropolis. Ich selbst suche die Nähe eines Kanonenofens. Mein rechtes Hosenbein scheint eine nächtliche Straßenszene abzubilden, mein linkes Hosenbein lässt an Felder oder Wolken denken, die Ärmel meines schwarzglänzenden Jacketts sind ein Säulenbau, der Kragen eine weiße Schachtel, die Schulterpolster ebenfalls weiße Schachteln.
Du hast nie ein Selbstportrait angefertigt. Nicht ein einziges.
Einmal habe ich versucht, dich zu überreden, doch ein Portrait von dir selbst zu weben. Da bist du unwirsch geworden. Es werde kein Selbstportrait geben. Niemals. Du wolltest nicht erklären, warum. Am liebsten wäre dir, wenn überhaupt kein Bild von dir existierte.
Ich habe deswegen auch keine Fotografie von dir aufgestellt, weder in der Firma noch zu Hause.
Der große Webstuhl in unserem Aufenthaltsraum, man sagt ja nicht mehr Wohnzimmer, war nicht zu übersehen. Aber du hast Sorge getragen, dass dich – außer mir – nie jemand antraf, während du daran arbeitetest. Der Webstuhl stand an der Betonwand, wenn du webtest, blicktest du immer
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