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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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gerichtet wie eine Dienerin, die von ihrer Herrin absichtlich beschämt wurde – die Herrin verrichtete eine Tätigkeit, die Aufgabe der Dienerin gewesen wäre.
    Als Kind habe ich alles, was auf dem Teller war, immer zuerst mit den Fingern berührt. Ich musste wissen, wie es sich anfühlte, vorher konnte ich es nicht in den Mund nehmen. Das war natürlich ganz schlechtes Benehmen, und meine Mutter bestrafte mich. Aber wenn ich das Essen vorher nicht anfassen durfte, aß ich gar nichts. Meine Mutter konnte mich nicht zwingen zu essen. Natürlich versuchte sie trotzdem, mir andere Tischmanieren beizubringen, aber ich nahm ab und war andauernd erkältet, sie musste den Erziehungsversuch einstellen. Ich hasste es, wenn eine Mahlzeit aus verschiedenen Dingen bestand, wenn ich etwa Nudeln zusammen mit Gemüse essen sollte oder Brot mit Käse oder einem Aufstrich. Ich konnte die Dinge nicht zusammen in den Mund nehmen. Versuchte ich es doch, wurde mir sofort schlecht. Ich aß erst die Nudeln oder das Brot, dann wartete ich, um später das Gemüse oder den Käse zu verzehren. Seit der Kindheit habe ich kein Fleisch und keinen Fisch mehr gegessen. Ich mag einfach den Tiergeschmack nicht.
    Am Tisch saß Eihi mit gesenktem Kopf. Nur wenn sie selbst etwas sagte, blickte sie manchmal dich oder Peter an, niemals mich. Hatte sie einmal den Kopf gehoben, senkte sie ihn danach besonders tief. Das Essen lobte sie überschwänglich. Peter gab unserer Überraschung darüber Ausdruck, dass sie Rotwein trank. Errötend und stotternd erklärte sie uns in ihrem unzulänglichen Englisch, SIRT1, das Protein des SIRT1-Gens, entferne im Zellkern und im Zellplasma Acetylgruppen, die es der Zelle erschweren, ihr eigenes Genom zu verdoppeln. Das Enzym reguliere die Aktivität weiterer Schlüsselproteine, darunter p53, Fox04 und Ku70, die entweder die Selbstmordschwelle beeinflussen oder die Zellreparatur anstoßen. Auf diese Weise überlebten manche Zellen Stress, bei dem sie sonst schon ihr Selbstmordprogramm eingeleitet hätten. Das Enzym SIRT1 werde durch Fasten aktiviert, aber auch im Rotwein gebe es eine Substanz, die die Produktion des Enzyms anrege. Der Verlobte der Japanerin war Biochemiker und arbeitete in der Altersforschung. Das Enzym SIRT1 verlangsame den Alterungsprozess.
    Du hast dich bemüht, stumm tief durchzuatmen, aber dann begannst du, ganz leise zu schluchzen. Deine Gesichtszüge ausgegraben und umgepflügt, deine Stirn klaffte in wüster Menschenleere. Die Brille keine Klammer. Ich weiß, ich hätte zu dir hinübergehen und den Arm um dich legen sollen!
    Gleich hattest du dich wieder in der Gewalt. Mit einem gequälten Lächeln entschuldigtest du dich: »I’m fine. I’m sorry.« Du nahmst die nutzlose Brille ab, legtest sie auf den Tisch und rührtest sie für den Rest des Abends nicht mehr an.

    Du hattest ein Manual im Kopf für den Umgang mit deinem Tod, Maren. Ich hatte kein Manual für den Umgang auch nur mit dem Gedanken daran.

    Nach dem Hauptgang räumtest du den Tisch ab. Eihi stand auf und wollte dir helfen, du legtest die Hände auf ihre Schultern und drücktest sie sanft auf ihren Stuhl zurück. Während du in der Küche hörbar das Geschirr in die Spülmaschine einsortiertest, erhob sie sich noch einmal und stellte sich in den Kücheneingang, die Arme angelegt, den Rücken an den Türstock gelehnt. Ich hatte ein Fenster im Esszimmer gekippt, du hattest in der Küche ein anderes geöffnet, Windstöße zogen an ihrem weißen Rock und an ihrer weißen Jacke. Sie blickte nicht auf die Türeinfassung gegenüber, sondern in eine Ferne, die es für uns nicht gab, auf ein Meer oder auf ein Gebirge.
    Keiner der Zurückgebliebenen sprach ein Wort. Jedenfalls so lange nicht, bis Eihi Nasenbluten bekam. Sie merkte es nicht sofort. Weil sie den Kopf vorgebeugt hielt, lief das Blut nicht die Lippen herunter, sondern tropfte auf den Boden. Peter machte sie darauf aufmerksam, sie zog ein Papiertaschentuch hervor und presste es an die Nase, bleicher als bleich, entschuldigte sie sich, sie habe öfter Nasenbluten, vielleicht eine Folge der häufigen Interkontinentalflüge.
    Professor Jangor hatte dir zu verstehen gegeben, dass die Krankheit bei dir besonders schnell voranschritt. Du hattest uns eine Frage gestellt, ohne sie auszusprechen: Könnt ihr euch vorstellen, dass euch jemand sagt, ihr werdet bald sterben? – Plötzlich ist euer Leben völlig verändert. Wenn ihr am Morgen im Bett aufwacht, wenn ihr euch für das

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