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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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hundertachtzig Grad, dein Kopf war jetzt weit weg von mir. Für einen Augenblick schwebtest du: Mit halboffenem Mund blicktest du nach oben. Es war, als ob dich jemand anderes küsste.

Man muss in der Lage sein, sein Gegenüber zu erreichen
    Der einsame Astronaut, wie er mit kerzengeradem Oberkörper in der Kanzel seines Raumschiffes sitzt. Wenn jetzt ein Meteorit das Schiff leckschlagen und die Atemluft übergangslos entweichen würde: Er würde sich nicht rühren. Auf seiner Reise hat er sich geändert. Er war die verkörperte Entschlusskraft, das ist vorbei. Ganz unentschieden ist er geworden. Wird es der Besatzung der Raumstation gleich auffallen? Aber sie haben ja auch nicht bemerkt, dass seine Entschlusskraft künstlich war. Ein unechter Wagehals. Doch, das gibt es. Was wird er, zurück in der Raumstation, hören? Seine Schande – er errötet. Er atmet laut und plustert die Wangen auf, damit er nicht aus Scham rot werden wird. Was murmelt er vor sich hin. Ist es ein Zugangscode? Ein Frauenname? Das Andocken des Schiffes an die Station geschieht doch automatisch.
    Er hatte weder Zeter noch Mordio geschrien, auch keine Unrede geführt, gegen niemanden. Es litt ihn nicht mehr auf dem Planeten Erde. Er verbrachte eine Ewigkeit im Weltraum, suchte nach Antworten: War das gesamte sichtbare Universum aus einem extrem kleinen, heißen und dichten Raumabschnitt entstanden, hatte eine ungeheuer schnelle Ausdehnung die beobachtbaren großräumigen Eigenschaften des Universums erzeugt? Oder existierte seit Ewigkeiten ein leerer, kalter Raum, und die Zeit hatte weder Anfang noch Ende? Krümmte sich das Universum immer stärker oder oszillierte diese Krümmung und erzeugte einen Zyklus von Entstehen und Vergehen? War die Zeit des Universums imaginär, eine vierte räumliche Koordinate, die im Koordinatenkreuz senkrecht zur menschlichen Zeit stand, und es hatte gar keinen Sinn zu fragen, was vor dem Anfang geschah? Konnte man zwischen einer ewigen Mikrozeit und einer Makrozeit unterscheiden, die einen Anfang und ein Ende besaß? Produzierte das instabile Nichts zufällige Universen, fast alle leer oder wüst und kurzlebig, doch manche dehnten sich schnell aus und dauerten? Blubberten die Universen aus dem Quantenschaum wie Blasen aus kochendem Wasser? Existierten viele, voneinander isolierte Universen, aus denen fortwährend neue sprossen wie Hefezellen unter dem Mikroskop? Stammte das Universum von etwas ab, und dieses Etwas war es selbst, waren die Lebendigen und die Toten in einer Zeitschleife gefangen, und das Universum erzeugte sich selbst durch einen Rückgriff auf seine eigene Vergangenheit? Waren Raum, Zeit und Materie nicht fundamental, sondern aus einer Art Raum-Zeit-Schaum entstanden? Hatten kosmische Ingenieure das Universum erschaffen, als Ersatzwelt, bevor ihre eigenen Sterne erloschen, oder als Spielzeugland zu ihrer Unterhaltung? Spaltete sich das Universum mit all seinen Bewohnern ständig auf, so dass alle Möglichkeiten wirklich wurden? Wenn die Unterschiede in der Natur nicht beliebig klein waren, mussten dann nicht alle möglichen Konfigurationen existieren? Mussten sich nicht alle möglichen Geschichten ereignen? War das Universum nur eine Episode in einer Kette ewiger Wiederkehr? Wenn die Anzahl der unterschiedlichen Geschichten sogar in einem unendlichen Universum mit allerdings gleichbleibenden Gesetzen endlich war, musste sich dann nicht jede einzelne Geschichte unendlich oft wiederholen? Mussten sich nicht alle möglichen Geschichten unendlich oft ereignen?
    Unendlich sanft und präzise bremst das Raumschiff ab. Kein »Sofort, ich hab’s gleich, Moment, Moment«. Das hat das Raumschiff nicht nötig, es hat nichts verlernt. Und er?
    Die Raumstation begrüßt ihn. Sie sagt, fast ein wenig vorwurfsvoll, er hätte sie öfter besuchen sollen. Er denkt, du Gute! Und: Dein treues Gedächtnis! Aber er weiß auch, dass diese Gedanken unangebracht sind.
    Seine Finger umklammern den Griff eines Metallkoffers. Der schließt luftdicht, obwohl das keine Rolle spielt. Er geht leise zu, das ist schon wichtiger. Vor allem kann man ihn abschließen. Der Koffer erkennt den Abdruck seines rechten Zeigefingers. Wenn er sich in diesen geschnitten hat, erkennt der Koffer auch seinen linken Zeigefinger. Ist der ebenfalls verletzt, akzeptiert der Koffer seinen rechten Daumen, auch seinen linken Daumen und so weiter. Es dürfen nur nicht alle Finger verletzt, verbrannt oder abgeschnitten sein. Das Erkennungssystem ist

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