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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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Moment auf den anderen verströmte dein Körper eine solche Kälte, dass jeder Gegenstand gefrieren musste, der mit ihm in Berührung kam.
    Es gab kein Geräusch, als dein Körper auf dem Boden auftraf. Deine Lippen weiß wie Segeltuch, eine weißlich schimmernde Maske dein Gesicht. Deine Augen waren völlig starr, dennoch sahst du mich an. Dein Blick folgte jedem, der sich rührte, ohne dass sich deine Pupillen bewegten. Wolltest du mir doch noch etwas sagen?
    Ich ging nicht zu dir hin. Nicht einmal nach deiner Hand fasste ich. Ich blieb dort, wo ich war. Wenn ich dich berühren würde, dann würde ich genauso erstarren wie du. Ich würde gefrieren, aber ich würde nicht ganz bleiben wie du, ich würde zerbrechen.
    Wir bildeten einen Kreis um dich, die beiden Ärzte, die beiden Pfleger und ich. Sie hatten die gleiche Scheu, dich anzurühren, wie ich. Keiner blickte zu mir hin, ob ich einen Wiederbelebungsversuch forderte oder stillschweigend signalisierte, dass ein solcher unterblieb.
    Während deines letzten Aufenthalts in der Klinik hattest du viele Spritzen bekommen. Du hattest nie Angst vor Spritzen gehabt, aber plötzlich giertest du förmlich nach Spritzen. Du hast genau dieses Wort benutzt. Du batest zwei Schwestern, dir gleichzeitig Spritzen zu geben. Die lehnten das ab, du bestandest darauf, dass sie einen Arzt fragten. Professor Jangor war nicht im Haus, der diensthabende Arzt gab kopfschüttelnd sein Einverständnis, es könne ja nichts passieren. Überall auf deinen Armen zeichneten sich die Einstichstellen als schwarze Punkte ab.
    Nachdem dich die beiden Pfleger wieder auf die Bahre gehoben hatten, hörten dich die beiden Ärzte ab. Sie beugten sich gleichzeitig tief über dich. Ich sah dich gar nicht mehr. Dann wandten sie sich nacheinander um, nahmen das Stethoskop aus den Ohren und steckten es in die Kitteltasche.
    Keuchend brabbelte ich: »Grinst nicht so hinter meinem Rücken! – Aber wieso kennt ihr mich so gut –«
    Pfarrer Grenzfurtner bat mich, den Sarg noch einmal öffnen zu dürfen, bevor die anderen Trauergäste in der Aussegnungskapelle eintrafen. Mühelos hob er den Deckel aus Massivholz hoch und lehnte ihn geräuschlos an den Sarg. Dann beugte er sich genauso tief über dich wie die Ärzte. Er umfasste deine Schultern und drückte erst seine kahle Stirn und dann seine Adlernase, die die Wölbung seiner Stirn wiederholt, aber im größten Gegensatz zu seiner bulligen Gestalt steht, an deine Wangen.
    »Gott ist – egal, ob alles andere ist oder nicht ist, so oder anders ist.«
    Alle hatten Schirme, ein Friedhofsangestellter wollte einen über Pfarrer Grenzfurtner halten, aber der weigerte sich. Seine Predigt war von dem aggressiven Trommelgeräusch der auf das Mikrophon auftreffenden Regentropfen unterlegt. Ich musste an eine Kriegsrede zu Soldaten denken. Das Wasser staute sich über seinem Haarkranz und seinen buschigen Augenbrauen und rann über die Schläfen in den Kragen seines Priestergewands hinein.
    »Der Mensch ist nicht eigentlich Person, nur Gott ist es.«
    Du warst eine uneigentliche Person, Maren, und ich bin ebenfalls eine.
    »Gott ist in seiner Tat.«
    War Gott auch in meiner Tat?
    »Gott liebt, weil das seine Natur, sein Wesen ist. Seine Ziele sind seine Ehre und unser Heil. Gott liebt auch ohne diese Ziele, bevor und nachdem er sie verwirklicht, in Ewigkeit. Sein Lieben ist Selbstzweck. Er bestätigt seine Fülle.«
    Nachdem die Helfer den Sarg im strömenden Regen ins Grab hinabgelassen hatten, habe ich Pfarrer Grenzfurtner umarmt. Ich wollte etwas sagen, ihm für seine Rede danken, dazu kam es nicht. Ich umfasste seine Schultern, ich wollte ihn an mich drücken, doch zwischen seinen Schultern war nichts, meine Finger griffen ins Leere.
    Vielleicht hatte es damit zu tun, dass wir beide völlig durchnässt waren. Ich tastete mich an seinem Hals entlang, von oben nach unten, aber darunter war wieder nichts. Es schien, als ob er nur aus den Konturen bestand, die ich die ganze Zeit fixiert hatte, während er seine Predigt hielt.

    D’Wolf ist eine erfolgreiche, aber keine glamouröse Firma. Mit Elektrotechnik kann man keine Academy Awards gewinnen. Dabei verbreitet die Bilanz von D’Wolf durchaus Glamour: Die Umsatzrendite ist für deutsche Verhältnisse unüblich hoch. D’Wolf hat auch zwei Stars hervorgebracht: Pfarrer Grenzfurtner und Cornelius Purps. Die beiden betätigen sich auf sehr verschiedenen Feldern.
    Cornelius Purps ist zwei Meter zehn groß, wiegt

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