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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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Siemens und Rockwell konkurrierten darum, sämtliche Steuerungen für alle Maschinentypen zu liefern. Ein Projektteam sollte den Auftrag an Land ziehen, das direkt an den Leiter unserer Geschäftseinheit berichtete. Natürlich verlangte die Y AG spezielle Anpassungen sowohl bei der Hardware als auch bei der Software, das stellte kein Problem dar, denn die Stückzahlen waren riesig. Die Aussichten für D’Wolf, den Auftrag zu bekommen, standen grundsätzlich nicht schlecht, die Y AG legte großen Wert auf Prozesssicherheit, bei diesem Thema liegen die Steuerungen von D’Wolf in allen Statistiken an der Spitze. Ein gutes Zeichen war auch, dass D’Wolf die letzte Präsentation halten sollte, erst musste Rockwell antreten, dann Siemens.
    Der unverhofft schnell genesene Peter wollte unbedingt das Projektteam führen, ich hatte keine Einwände gehabt, und der Leiter der Geschäftseinheit hatte es genehmigt. Die Ausschreibung war dick wie ein Buch. Peter hatte sie zusammen mit Burgi bearbeitet und unser Angebot erstellt – während Burgi in Shanghai noch in den Diensten von Rockwell stand. Ich habe Peter nicht gefragt, ob sie Zugriff auf das Angebot von Rockwell hatte, und wenn ja, ob sie davon Gebrauch machte. Auf keinen Fall kam es in Frage, dass sie an der Präsentation teilnahm, die nur Tage nach ihrem offiziellen Ausscheiden bei Rockwell angesetzt war. Der Leiter unserer Geschäftseinheit hatte dafür Sondra vorgeschlagen, weil sie einmal eine Studie über die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie mitverfasst hatte.
    Burgi und Sondra kannten sich von früher, sie umarmten sich rhetorisch. Ich konnte nicht erkennen, ob Sondra Burgi in die Augen blickte. Wenn ja, grub sie dort nichts Ermutigendes aus. Burgi machte ein Gesicht wie: Das könnte sie sich auch sparen. Der Anblick ihres Mundes zersetzte augenblicklich alle Kampfkraft Sondras, sofern sie überhaupt eine solche angesammelt hatte. Sondras Haare waren blond, Burgis Haare waren sehr blond.
    Burgi verhielt sich gewohnt pedantisch. Kam im Ausschreibungstext eine Abkürzung vor, sprach sie die Worte jedes Mal vollständig aus, Zahlen zitierte sie bis auf die letzte Stelle nach dem Komma genau. Sondra sprach seltsam flach, selbst wenn sie substantielle Anmerkungen machte – niemals so, als ob es um etwas Wichtiges ging, sondern als wolle sie vor allem möglichst schnell zum Ende kommen. Burgi und Sondra würdigten einander keines weiteren Blickes. Wenn Burgi auf etwas eingehen wollte, das Sondra gesagt hatte, beugte sie sich über den Tisch zu mir. Auch Sondra wandte sich an mich, wenn sie Burgi meinte. Am Anfang machte ich den Fehler, den Augenkontakt zu suchen, das irritierte Sondra derart, dass sie mitten im Satz abbrach. Sie musste mit ihrem Gedankengang wieder von vorn ansetzen.
    Die Lippen von Burgi und Sondra sahen verfärbt und verformt aus. In der Haut liegen Kälterezeptoren, werden diese ausgelöst, gehen Signale an ein bestimmtes Zentrum im Gehirn, von dort erfolgt die Anweisung, dass sich die feinen Blutgefäße und Muskeln unmittelbar unter der Haut zusammenziehen. Das warme Blut bleibt im Körperinneren, damit es an der Oberfläche nicht so stark abkühlt. Bei längerem Aufenthalt in der Kälte erlahmen die Muskeln, die Blutgefäße werden weit, sie füllen sich unvermittelt, die Haut wird rotblau. Kann Rede gefrieren?
    Zu Beginn hatte ich die Besprechung ohne Schwierigkeiten moderiert. Jetzt verstand ich nur noch die Worte am Anfang der Sätze von Burgi und Sondra, alle anderen Wörter verschwammen. Die beiden verschlüsselten, was sie sagten. Zwar kannte ich den Code, aber es kostete mich eine ungeheure Anstrengung, ihre Sätze zu entschlüsseln.
    Peter rettete mich. Er trat ein, ging auf Burgi zu, umarmte sie stumm, wandte sich Sondra zu und umarmte sie ebenfalls wortlos.
    Immer wieder murmelte ich denselben Satz vor mich hin, mit unterschiedlicher Betonung:
    »Ich habe nicht gesagt, dass Peter Sondra nie geliebt hat.
    Ich habe nicht gesagt , dass Peter Sondra nie geliebt hat.
    Ich habe nicht gesagt, dass Peter Sondra nie geliebt hat.
    Ich habe nicht gesagt, dass Peter Sondra nie geliebt hat.
    Ich habe nicht gesagt, dass Peter Sondra nie geliebt hat.
    …«
    Keiner achtete auf mich.

    Es gab nur Salat, Obst und Gemüse, kein Fleisch und auch keinen Fisch. Der Einkaufsvorstand der Y AG bestand darauf, dass unser und sein Team die Tage gemeinsam verbrachten. Vom Frühstück bis zum geselligen Beisammensein an der Bar nach dem späten Abendessen,

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