Der Überlebende: Roman (German Edition)
bei nicht-alkoholischen Cocktails in dem Dreihundert-Zimmer-Hotel nahe Stuttgart. Die Mitglieder unseres Teams wagten nicht einmal, den Fitnessbereich zu besuchen, ohne sich mit den Y-Leuten zu verabreden. Die Y-Leute waren äußerst korrekt und übertrieben höflich, der Einkaufsvorstand lächelte ununterbrochen. Noch nie in seiner Karriere hatte Peter erlebt, dass der prospektive Kunde so freundlich zum potentiellen Lieferanten war. Ein Dämon hatte die Situation gespiegelt, es schien, als ob die Y AG sich um einen Auftrag bei D’Wolf bemühte. Peter hatte Schwierigkeiten mit der Intervall-Programmierung des Laufbands, eine Assistentin aus dem Y-Team richtete es nach seinen Wünschen ein, sie machte ihm sogar Vorschläge für das Fernsehprogramm während des Trainings.
Die Untergebenen des Einkaufsvorstands waren gründlich gebrieft, sie stimmten sich perfekt ab. Nie kam es vor, dass die gleiche Frage zweimal gestellt wurde. Jeder schien alles zu wissen, was irgendein Mitglied seines Teams mit irgendeinem Mitglied unseres Teams besprochen hatte. Trotzdem funktionierte das Y-Team nicht fehlerlos. Einmal ging Peter während einer Sitzung in den Waschraum. Der Einkaufsvorstand hatte angeordnet, alle Mobiltelefone nicht nur auf stumm, sondern ganz auszuschalten, sogar er selbst hielt sich daran. Natürlich erhielten die Leute auf ihren Notebooks E-Mails und beantworteten sie auch, wenn es die Situation zuließ, aber kein Vortragender wurde unterbrochen. Weil unsere Leute sahen, dass die Y-Leute den Aufenthalt im Waschraum nicht zum Telefonieren benutzten, trauten sie sich das auch nicht. Peter war schon auf dem Flur, da fiel ihm noch etwas ein, was der regionale Vertriebsbeauftragte für den nächsten anstehenden Verhandlungspunkt wissen sollte. Als er unerwartet in den Konferenzraum zurückkehrte, erblickte er auf dem Notebook eines Y-Mannes sein Bild. Der Einkaufsvorstand sprach gerade, er sah, wie Peter überrascht stehen blieb, und hielt inne. Der sehr junge Mann – Peter erzählte, er habe eine Pilzfrisur gehabt – scrollte einen Text neben Peters Bild herunter. Erst mit Verspätung bemerkte er, dass sich die Aufmerksamkeit aller auf Peter und ihn richtete. Während Peter mit dem Vertriebsbeauftragten redete, verfolgte er, wie der junge Mann, plötzlich aschfahl geworden, jetzt unverwandt den Einkaufsvorstand anstarrte. Zum Briefing für die Y-Leute gehörte offensichtlich auch eine Datei über unser Team, die der Mitarbeiter während der aktuellen Verhandlungen niemals hätte aufrufen dürfen. Peter ging in den Waschraum, als er zurückkam, war der junge Y-Mann schon nicht mehr da, er wurde nicht wieder gesehen.
Das sollte allerdings auch für den regionalen Vertriebsbeauftragten von D’Wolf gelten. Am zweiten Abend unternahmen beide Teams eine Tour durch Stuttgart, man trank alkoholfreies Bier. Nur Peter hatte sich ausgeklinkt, er war auf dem Hotelzimmer geblieben, seine Geschichte entschuldigte ihn. Der regionale Vertriebsbeauftragte verschwand jäh und tauchte auch am nächsten Morgen nicht im Hotel auf. Er war nicht im Büro, sein Mobiltelefon abgeschaltet, noch nicht einmal die Mailbox war aktiviert. Schließlich gelang es Sondra, ihn über seine private Festnetznummer zu erreichen. Er sprach völlig wirr, sie verstand nicht, was er ihr sagen wollte, nur durch Nachfragen konnte sie rekonstruieren, was passiert war.
In einem Lokal hatte der Dicke ihn beiseitegenommen, er wolle ihm etwas zeigen. Der Dicke wog ungefähr doppelt so viel wie das nächstschlankere Mitglied des Y-Teams, er trug einen gepflegten Bart, seine langen, aber niemals fettigen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er war der IT-Spezialist im Einkauf der Y AG, hatte jemand Probleme mit seinem Computer, löste er sie sofort. Er tippte auf der Tastatur und unterhielt sich zugleich über etwas völlig anderes. Mehrmals half er auch den Mitgliedern unseres Teams. Nie entging ihm etwas, er entschuldigte sich für jeden einzelnen der seltenen Fehler auf den Charts der Y AG. Sondra war sicher, er erkannte auch jeden Fehler auf unseren Charts, aber natürlich sagte er nie etwas. Im Scherz hatte einer der Unsrigen bemerkt, der Einkaufsvorstand der Y AG habe wohl einen Wettbewerb ausgelobt, in dem dasjenige Mitglied seines Verhandlungsteams ausgezeichnet werde, das am freundlichsten zum Lieferanten sei. Der Dicke war unser Favorit dafür.
In dem Stuttgarter Lokal hatte der Dicke ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche
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