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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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Ärzte einverstanden seien, dass sie ihn besuche. Ich antwortete ihr, Peters Zustand sei durchaus prekär, und ich hielte es zuvörderst für geraten, wenn sie ihm nicht in Fleisch und Blut begegne. Sie gab sich mit diesem Bescheid zufrieden und schrieb ihm Unverbindliches. Gegenstandslose Seligkeit angesichts eines Gegenstandes, den man verloren geglaubt hatte, sah anders aus.

    Meine Eltern behaupteten, eins der ersten Wörter, die ich aussprechen konnte, sei Rechenmaschine gewesen. Mein Vater war ein kleiner kaufmännischer Angestellter in einer großen Firma. Tagaus, tagein brachte er Karteikästen nach Hause, helle neue, aber auch abgestoßene dunkle aus der Vorkriegszeit. Was auf den Karteikarten stand, verdichtete er unter ausgiebiger Benutzung seiner beigefarbenen mechanisch-elektrischen DIEHL VSR 18 A/A zu Aufstellungen und Übersichten, die er auf kariertem Papier niederlegte.
    Jeden, der zu uns ins Haus kam, fragte ich: »Haben Sie auch eine Rechenmaschine?« Und ich fing an zu erklären, wie eine mechanische Rechenmaschine funktionierte. Das wusste ich, denn ich hatte die Rechenmaschine meines Vaters auseinandergenommen, während er zur Kur war. Als er zurückkam, hatte ich sie noch nicht vollständig wieder zusammengesetzt. Mein Vater war sehr zornig, er traute mir nicht zu, dass mir das gelingen und sie noch ihren Dienst tun würde. Als ich das Gegenteil bewiesen hatte, schenkte er mir eine gebrauchte Rechenmaschine. Immer wenn im Büro eine Rechenmaschine ausrangiert wurde, bekam ich sie. Mein Kinderzimmer sah aus wie eine Werkstatt, in der mechanische Rechenmaschinen gewartet und repariert wurden.
    Meine Mutter, sie war Volksschullehrerin, bremste mich nicht, wenn ich meine Vorträge über Rechenmaschinen hielt. Sie erläuterte den verblüfften Gästen, ich sei der Meinung, der Sinn von Gesprächen bestehe ausschließlich darin, nützliche Informationen auszutauschen.
    »Wenn man nichts Interessantes dazulernt, warum sollte man sich dann unterhalten?«
    Da lachten die Zuhörer und ich mit ihnen. Ich lachte nicht, weil ich das, was meine Mutter gesagt hatte, lustig fand. Ich war überzeugt, dass es völlig richtig war. Es befriedigte meine Mutter und die Zuhörer, wenn ich über das lachte, was sie gesagt hatte, warum sollte ich ihnen die Genugtuung nicht gönnen.
    Ich konnte nachvollziehen, dass sich andere Kinder nicht wie ich für Rechenmaschinen begeisterten, aber ich war geschockt, dass sich die Erwachsenen und insbesondere meine Lehrer mit keiner Faser ihres Wesens dafür interessierten, wie Rechenmaschinen funktionierten.
    Unzählige Bücher schildern, wie jemand Dichter, Maler oder Komponist wird. Aber es gibt kein einziges, das beschreibt, wie aus jemandem ein Ingenieur wird.

    Früher habe ich oft für ein Gespräch geübt, das ich führen wollte. Ich legte mir zurecht, was ich sagen wollte, ich versuchte, mögliche Einwände vorwegzunehmen, und erwog, wie ich ihnen begegnen sollte. Ich konnte mich besser vorbereiten, wenn ich meine Gedanken laut aussprach.
    Das ist das Gespräch, für das ich niemals geübt habe, Maren.
    Die Selbstgespräche hatten damals einen Nebeneffekt: Ich fühlte mich nicht so einsam. Aber jetzt fühle ich mich unverändert einsam.

    Sondra hatte eine Frühmaschine genommen, ich kam ins Werk, sie wartete vor meiner Bürotür. Nicht nur, als ich sie begrüßte, auch später blickte sie mir niemals in die Augen, sondern beständig an mir vorbei. Während der Besprechung am Vormittag beugte sie sich abweisend über ihre Unterlagen. In der Kantine stand sie geistesabwesend und hilflos in der Schlange. Der Mann, der sich nach ihr anstellte, räusperte sich mehrmals demonstrativ, weil sie nicht aufrückte.
    Während ich telefonierte, arbeitete sie in meinem Büro an ihrem Notebook, sie hatte es neben sich auf das Sofa gelegt und musste den Oberkörper stark verdrehen. Sie gab Daten von losen Blättern ein, einige fielen ihr herunter, sie kniete sich auf dem Boden hin, um sie einzusammeln. Ihre Haare hingen ihr ins Gesicht, sie strich sie nicht heraus, als sie sich wieder aufrichtete.
    Ein schwäbischer Maschinenbauer vergab einen großen Auftrag, ich nenne die Firma Y AG. Deren Einkaufsvorstand wollte die Anzahl der Lieferanten halbieren. Es macht im Maschinenbau – und nicht nur da – keinen Sinn, jeden einzelnen Rohstoff und jedes einzelne Bauteil genau dort zu beziehen, wo der Preis am günstigsten ist, auf diese Weise sind die Handling-Kosten viel zu hoch. D’Wolf,

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