Der Überraschungsmann
völligen Zurückgezogenheit verließ ich diesen Berg der Besinnung. Ich war jetzt so weit, mit Volker reden zu können.
Doch zuerst führte mich mein Weg direkt zu einer Immobilienmaklerin.
Die Wohnung lag im vierten Stock in einer schmalen, schattigen Straße direkt in der Salzburger Altstadt. Allerdings in einer Gegend, in die ich meine Reisegruppen niemals führen würde: neben einem Puff, in dessen Schaufenster vergilbte Fotos von nackten Mädchen in aufreizenden Posen hingen. Daneben wiederum befanden sich eine Kneipe, in der der Wirt sein einziger zuverlässiger Gast war, ein unvermietetes Geschäftslokal, eine Antiquitätenhandlung mit allerlei Ramsch in der Auslage und ein beschmiertes Studentenwohnheim, vor dem jeden Morgen der Wasserwagen menschliche Exkremente wegspritzte. Dann kamen eine Wand aus Müllcontainern und ein Bauzaun, auf dem stand: »Wir renovieren. Ladenlokale und Wohnungen zu vermieten.«
»Lassen Sie sich von diesem ersten Eindruck nicht abschrecken!«, munterte mich die kesse Immobilienmaklerin auf, während sie mich in den düsteren Hausflur schob, in dem Sperrmüll und alte Fahrräder standen. »Das wird alles demnächst renoviert. Die ganze Straße ist zurzeit eine einzige Baustelle, aber warten Sie nur, wie schön das wird! Diese Gegend wird in fünf Jahren gar nicht mehr zu BEZAHLEN sein!«
»Oh ja, immer nur her mit dem ganzen Müll!«, schrie der riesige Container auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aus dem bereits rostige Eisenteile, Bretter und kaputte alte Kinderwagen ragten. »Dafür bin ich ja da! Auch seelischen Müll können Sie hier gern abladen! Willkommen auf der Großbaustelle!«
Mein ganzes Leben ist eine Baustelle, hätte ich der Maklerin am liebsten gesagt. So gesehen fühle ich mich hier wie zu Hause! Tapfer schüttelte ich die aufkommende Verzweiflung ab. Charakter und Charisma von einem Dutzend Teilgebern stärkten mir den Rücken. Ich straffte die Schultern und spuckte in Gedanken in die Hände. Die anderen aus der Gruppe waren bei mir. Ich spürte ihre ansteckende Kraft.
Die Immobilienmaklerin und ich, wir fuhren mit einem abenteuerlichen Aufzug, dessen Rückwand nicht mitfuhr und an die man sich also tunlichst nicht anlehnen sollte, ruckelnd in den vierten Stock. Die Immobilienmaklerin verströmte einen extravaganten dezenten Duft, der in einem krassen Gegensatz zu dem mich erwartenden Raumklima stand. Die Wohnung war kalt und dunkel, und bis auf einen staubigen Gummibaum, den der Vormieter großzügigerweise zurückgelassen hatte, völlig leer. Ich wich zurück. Fröstelnd rieb ich mir die Arme, als ich das Regenwasser durch ein altes, rostiges Rohr plätschern hörte. Hier war Mozart bestimmt schon vor dreihundert Jahren ein und aus gegangen! Sein Wohnhaus lag jedenfalls direkt um die Ecke.
»Man kann das hier alles sehr heimelig und gemütlich einrichten«, behauptete die Maklerin, während sie mit ihren fein manikürten Fingern über die undichten Fenster fuhr. »Schauen Sie – alles Doppelverglasung! Und beachten Sie nur den Parkettboden! Nun gut, er müsste abgeschliffen und versiegelt werden, aber dann sieht er aus wie neu!«
Nein!, schrie mein letzter Rest Bequemlichkeit. Ich gehe zurück zu Volker in die Villa! Da IST schon alles abgeschliffen und versiegelt und gemütlich und heimelig eingerichtet! Ist doch egal, wenn er mich betrügt, wenn er seine Geliebte und ihr gemeinsames Kind auch noch darin wohnen lässt! Ich werde mich weiterhin liebevoll um die ganze Mischpoke kümmern, Hauptsache, ich kann aus diesem dunklen, feuchten Verlies wie der raus!
Aber dann sah ich die zwölf Augenpaare der Gruppe vom Vollererhof, die wach und mitfühlend auf mich gerichtet waren. »Du schaffst das, Barbara. Lass dich nicht länger belügen, und belüge dich nicht länger selbst. Mach einfach einen Schritt nach dem anderen.«
»Aber diese Bude hier kann ich meinen Kindern nicht antun!«
»Doch, das kannst du. Sie werden zu dir halten, ihr werdet wieder ganz eng zusammenwachsen. Am Ende ist das auch für die Kinder eine wertvolle Erfahrung. Setze sie dieser Herausforderung aus! Mute ihnen diesen Neuanfang zu! Ihr werdet alle große Kraft aus dieser Krise ziehen!« So hörte ich sie auf mich einreden und spürte, dass sie recht hatten. Aber bequem war das nicht!
»Aber sie leben wie die Maden im Speck da unten in ihrem Souterrain. Jedes meiner Kinder hat seinen eigenen Fernseher, seinen eigenen Computer und seine eigene Stereoanlage! Sie haben
Weitere Kostenlose Bücher