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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Berechnende, das manche Jugendliche heutzutage zur Schau tragen, wenn Erwachsene Schwächen zeigen. Vor Nathan zu weinen hätte ich mich nie getraut. Aber vor Emil schon. Und vor diesen beiden jungen Männern auch. Justus Trunkenpolz war ein erfolgreiches Familienunternehmen. Zu ihm kamen Manager, die riesige Unternehmen leiteten, aber über den riesigen Geldsummen, um die es ging, vergessen hatten, wie man achtsam mit anderen Menschen umgeht. Was für ein Geschenk, plötzlich in diese Welt der gegenseitigen Wertschätzung eintauchen zu dürfen! Obwohl mir alle diese Menschen noch vor wenigen Tagen völlig fremd gewesen waren, waren sie jetzt eine echte Stütze für mich. Die meisten dieser Topmanager waren auf dem besten Weg, ihre Mitmenschen anzunehmen. Andere hatten nach wie vor Dollarzeichen und Statussymbole in den Augen und sonst gar nichts. Der Banker aus Zürich hatte keinen anderen Wert in seinem Leben kennengelernt als Geld. Sein Lebensbaum hatte ausschließlich aus Geldscheinen bestanden. Er war nicht einmal zu den einfachsten menschlichen Interaktionen fähig, wurde aber von der Gruppe liebevoll aufgenommen und konnte sich nach einigen Tagen öffnen wie eine Blume, die in einer Mauerritze doch noch zu blühen beginnt.
    Am dritten Morgen stand ich zufällig in seiner Nähe, als er die pummelige Hannelore mit aufrichtiger Warmherzigkeit begrüßte: »Ich freue mich, dich zu sehen! Hast du gut geschlafen?« Anschließend half er, ihren heißen Kakao zu ihrem Platz zu tragen. Er selbst berichtete später in der Gruppe mit leuchtenden Augen, wie ihn die neu gewonnene Freundlichkeit von innen her wärmte.
    An meinem absoluten Tiefpunkt hatte mir das Schicksal diese Gruppe geschickt.
    »Im Gegensatz zu den meisten anderen Teilgebern hier hast du immer zu viel Liebe verströmt und dich dabei selbst verloren«, sagte Justus, als ich selbst ins »Spiegelkabinett« musste, und die anderen nickten. »Wir alle wollen lernen, wieder auf die Bedürfnisse unserer Mitmenschen einzugehen, wieder zu spüren, was ihnen guttut, was sie zu glücklicheren Mitarbeitern machen könnte. Du, liebe Barbara, solltest lernen, dich selbst etwas mehr abzugrenzen und deine eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Deine Mitmenschen hast du schon glücklich genug gemacht.«
    Diese interaktiven Übungen und Rollenspiele lenkten mich einerseits von meinem Kummer ab und lehrten mich andererseits viel über eingefahrene Verhaltensmuster. War das typisch weiblich, dass ich mich fast selbst vergessen hatte in meinem Aufopferungswahn? Immer wieder musste ich weinen, aber das tat gut. Merkwürdigerweise weinten reihum auch die Topmanager, als sie merkten, was ihnen alles entgangen war, weil sie sich immer nur ums Geldverdienen und nicht um menschliche Wärme gekümmert hatten. Als ich nach einer Woche von den Seminarteilgebern Abschied nahm, war ich gestärkt und getröstet. Ich war bereit für einen Neuanfang. Aber nicht mit Volker.
    »Soll ich zu ihm zurückgehen?«, hatte ich Hilfe suchend in die Runde gefragt, als ich an der Reihe gewesen war.
    »Nein. Du brauchst jetzt unbedingt Zeit, um dich selbst zu finden. Sei endlich mal egoistisch.«
    »Aber ich fürchte mich vor dem Alleinsein! Ich schaffe es nicht! Ich kann ohne Volker nicht leben!«
    »Genau das musst du ganz dringend wagen! Trau dich, dich ganz auf dich allein zu besinnen!«
    »Du hast dich ja immer nur für andere in Stücke gerissen! Jetzt bist du kaputt, im wahrsten Sinne des Wortes! Zerrissen!«
    »Ein Häufchen Elend ohne Selbstachtung!«
    »Wie sollen sie dich lieben, wenn du dich selbst nicht liebst!«
    »Such dir eine Wohnung, Barbara. Nimm deine Töchter mit, und konzentriere dich nur auf sie und dich.«
    »Finde deine Würde zurück und dein Selbstwertgefühl. Der Rest wird sich weisen.«
    »Kümmere dich um deinen Wesenskern. Lass die faulen Früchte am Wegesrand zurück. Verschwende keine Energie mehr auf sie.«
    »Verschenk dich nicht mehr an jene, die deiner nicht wert sind.«
    Ich war von gut einem Dutzend Menschen umarmt und mit aufbauenden Worten auf den Weg geschickt worden: »Du bist stark, Barbara. Du schaffst das. Wir stehen alle hinter dir.«
    »Wir helfen dir! Wir schicken unsere Leute!«
    Ich konnte mein Glück kaum fassen: Millionenschwere Topmanager versprachen, mir beim Umzug zu helfen oder zumindest Umzugshelfer zu schicken. Ich war gerührt von so viel Anteilnahme und Hilfsbereitschaft.
    Anschließend saß ich wieder in meinem Auto. Nach zwei Wochen der

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