Der Überraschungsmann
Kellertreppe hinunter, um beim Transport von Charlottes Bettgestell mitzuhelfen. »Wer Scheiße baut, muss sie auch auslöffeln«, rief er von unten. » DEINE Rede, Papa!«
»Du kannst das hier doch nicht alles zerstören!« Volker nahm meine Hände und drückte sie an seine Brust. Sein Herz raste unter dem weißen, tadellos gebügelten Hemd.
»Nein. Das kann ich auch nicht. Weil du bereits alles zerstört hast!« Im Vollererhof hatten wir diese Situation ein Dutzend Mal durchgespielt. Ohne diese Vorbereitung hätte ich jetzt hysterische Anfälle bekommen. Dann wäre ich weinend zusammengebrochen und in mein altes Leben zurückgekehrt. Hätte mich ein weiteres Mal von Volkers Verführungskünsten herum kriegen und von diesem Mann »auf Händen tragen« lassen. Wie leicht man dieses »Auf-Händen-tragen-Lassen« doch mit »Auf-den-Arm-nehmen-Lassen« verwechseln kann!
Volker lief aufgebracht in der Einfahrt auf und ab und wich meinen treuen Freunden und Möbelpackern aus, die meine Sachen und die der Kinder in den Möbelwagen trugen. Justus’ Söhne waren auch dabei.
»Find ich gut, dass Barbara sich jetzt nicht mehr verarschen lässt«, teilte Emil den beiden jungen Männern in seiner entwaffnenden Offenheit mit. »Nichts gegen meinen Papi, aber da ist der alte Schwerenöter echt zu weit gegangen.«
»Lass uns einen Spaziergang machen«, schlug ich vor. »Übernimm Eigeninitiative, Barbara!«, hallte es mir in den Ohren.
Volker war regelrecht dankbar über diesen Vorschlag. Er versuchte sogar, den Arm um mich zu legen, aber ich schüttelte ihn ab und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Wir liefen über die weiten Wiesen und Felder am Fuß des Gaisbergs, die erste milde Frühlingssonne ließ den letzten Schnee auf Koppeln und Weiden schmelzen. Das hier war meine Wohngegend gewesen, und ich würde sie schmerzhaft vermissen. Den Sonnenblumenweg, in dem die Welt scheinbar in Ordnung gewesen war.
»Wie ist es euch in den letzten zwei Wochen ergangen? Wie haben die Kinder reagiert?« Ich sah Volker von der Seite aus an. Wie er da so kleinlaut neben mir herstapfte, zog es mir schon wieder das Herz zusammen. Er machte einen so schuldbewussten, zerknirschten Eindruck, dass ich ständig mit mir kämpfte: Sollte ich mich nicht einfach an seine Brust werfen und »Alles wieder gut?« rufen? Die Möbelmänner zurückpfeifen, die schäbige Wohnung in der Altstadt einfach gar nicht betreten? Heile, heile, Segen? Einfach alles VERGEBEN und VERGESSEN ? Ich war hin und her gerissen! Mein früheres Leben war so EINFACH gewesen!
»Also, die Kinder waren natürlich ziemlich schockiert, als du so einfach abgehauen bist«, fing er an. »Ihnen hat es gar nicht gepasst, dass meine Mutter das Zepter in die Hand genommen hat.«
»Ich bin nicht EINFACH abgehauen«, unterbrach ich ihn bestimmt. Auch das hatte ich von Justus und den Teilgebern gelernt. Zuhören, reflektieren, Echo geben.
»Na ja, mir blieb dann irgendwann nichts anderes mehr übrig, als Lisa in London anzurufen, damit sie sich hier um alles kümmert.« Volker stapfte mit gesenktem Kopf voran.
»Nicht um ALLES «, stellte ich wieder sanft klar. »Nur um IHR KIND .«
»Sie wollte aber um keinen Preis ihre Karriere da drüben aufgeben. Der Dirigent …« Er biss sich auf die Lippen und schüttelte frustriert den Kopf.
»Was ist mit dem Dirigenten?«, fragte ich.
»Na ja, sie hat da was mit ihm angefangen«, schnaubte er wütend. »Wir haben inzwischen Schluss gemacht.« Ja, das hatte er mir auf die Mailbox gesprochen.
Ich warf den Kopf in den Nacken und stieß ein klirrendes Lachen aus. »Ach, DESWEGEN willst du mich wieder zurück?«
»Nein, Barbara, wirklich, so ist das nicht …« Volker zog mich an sich, und ich musste mich schwer beherrschen, mich nicht in seine Arme zu werfen und »Ich will doch auch!« zu rufen.
»Lisa ist Vergangenheit! Ehrlich! Sie war nur ein … Fehltritt, ein unglücklicher Zufall. Diese plötzliche Nachbarschaft, und wie du sie mir quasi aufgedrängt hast: ›Volker, so sei doch nett zu ihr, so KÜMMERE dich doch um das arme Mädchen …‹«
Ich biss mir auf die Lippen und nickte. Es war also alles genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Für Volker musste eine Welt zusammengebrochen sein, als Lisa und Sven plötzlich auf dem Nachbargrundstück auftauchten. Aber als Sven dann ankündigte, für Monate zu verreisen, und ich darauf drängte, Lisa in unsere Familie aufzunehmen …
»Lisa ist jedenfalls vorgestern hergeflogen und
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